Altstadtrebellen
Ratlosigkeit stand Placebo an einer Litfaßsäule vor einem anderen Plakat: »Wartet’s mal. Habt ihr gesehen? Da gibt’s irgendwo auch noch eine Erotik-Messe. Sollen wir da vielleicht noch auf einen Sprung vorbeischauen? Bloß a Viertelstund oder so?«
Puschkin: »Ach, Placebo, waren wir da nicht gerade?«
»Puschkin, du hast wohl nicht aufgepasst. Wir waren doch nicht auf der Erotik-Messe. Hast du nicht geschaut? Wir waren auf der Esoterik-Messe. Überall Schachteln, Schnüre, Kugeln und … obwohl?«
Mit einem Mal waren wir alle drei unsicher, welche Messe wir eigentlich besucht hatten. Wir ließen es offen. Auf dem Weg zurück in die Stadt gab uns jemand einen Handzettel in die Hand. Ist ja auch logisch, Handzettel in den Fuß wäre ja direkt blöd. Auf dem stand: »Acht Abendkurse, lerne Speating!«
Speating setzt sich zusammen aus speak und eat. Auf diesen Kursen lernt man, während des Essens zu reden. Vielleicht kann man einige schlechte Kindheitserlebnisse verarbeiten, zum Beispiel »du hältst dein Maul, wenn du isst« oder so was. Auf jeden Fall kann man neue Aufbaukurse belegen. Ich bin mir ganz sicher, dass dort sämtliche früher mit mir befreundeten Ehepaare rumsitzen.
Also nichts für uns drei. Und für Elmar ist ja auch nichts dabei, jetzt wo er auch noch links gelähmt ist. Ich war mir sicher: Er muss den Sprung schaffen, weg vom Sport, hin zur Kunst. Dass er mit der rechten Hand Bilder malen kann. Vielleicht steckt in ihm ein genialer Maler, und er weiß es nur nicht.
Leiber und Modelle
Um uns inspirieren zu lassen, sind wir gleich in die Alte Pinakothek gegangen und haben sämtliche Bilder begutachtet, immer unter dem Aspekt, was könnt er denn malen, der Elmar? Frans Hals, Rembrandt, Tizian?
Am längsten blieben wir stehen vor einem großen, einem riesigen Bild, vier mal sechs Meter oder sechs mal vier Meter, je nachdem, wie man es aufhängt. Das hat uns sehr begeistert. Peter Paul Rubens, das Jüngste Gericht. Endlich mal Leiber! Formen! So was sieht man ja gar nicht mehr. Nur mehr diese Models. Das ist so tragisch. Ich finde das fast gefährlich. Ich stelle mir immer vor, wenn so ein Model einmal zufällig draußen in der Natur rumsteht und das auch noch seitlich zu einem selbst, kann man leicht dagegen rennen, weil man es nicht sieht.
Wie die Mädchen sich quälen mit Magersucht, Bulimie, Drogen. Und dieser komische Stampfgang auf dem Laufsteg, oben immer ganz aufrecht, und unten trampeln die einem entgegen wie der Huber Bauer aus Untergriesbach. Da kriegt man doch Angst. Und das nennen die dann auch noch Catwalking, aber Entschuldigung: So stampft keine Katze auf.
Bei einer solchen Frau würde es mir doch niemals einfallen zu sagen: »Na, schöne Frau, wie wär’s mit uns beiden?«
Aus diesem Grund standen wir begeistert vor Peter Paul Rubens’ Jüngsten Gericht.
Selbst Puschkin schien recht angetan, meinte aber nach einer Weile skeptisch: »Etwas wenig grau. Aber insgesamt sehr rasant!«
»Ja, Puschkin, wenn du diese Prachtweiber siehst, denkst du da an deine Frau im Süden?«
Puschkin blickte mich entgeistert an: »Warum? Es hat keine Eile, die Dame kennt mich nicht. Sie weiß nicht, dass ich es bin, auf den sie wartet.«
Nachdem wir uns von diesen üppigen Frauen verabschiedet hatten, brachen wir auf zur neu errichteten Pinakothek der Moderne. Ich hatte zwischendurch wieder im Krankenhaus angerufen. Als ich zurückkam, rannte mir von hinten schon der Placebo entgegen.
»Ah, gut, dass du da bist. Du, da hinten haben sie eine ganze Halle mit Schrott. Musst mal schauen, vielleicht findest du ein Ersatzteil für Elmar seine Fitnessmaschine!«
»Langsam, Placebo. Der Elmar, ich hab angerufen, hat auch noch eine Nebenhodenentzündung. Wenn das so weitergeht, wird uns der noch blind. Und wir stehen hier rum und schauen uns Dreiklang-Glockenspiele an!«
Placebo: »Was hat er, hast du gesagt?«
»Nebenhodenentzündung.«
Placebo: »Was hat denn das mit blind zu tun?«
»Ich weiß es nicht! Das ist nur so ein Gedanke, verstehst du, da unten die Entzündung, geht langsam das Rückenmark hinauf, ab ins Kleinhirn, da macht’s einen Wuckiwucki, und patsch, schon ist er blind!«
Placebo: »Wuckiwucki und patsch? Sag mal, was regst denn du dich eigentlich so auf?«
»Ich reg mich auf, weil ich mich schuldig fühle. Ich hab ihn zum Trinken überredet. Sonst tät er wahrscheinlich irgendwo
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