Altstadtrebellen
ohne was zu essen. Zeus ist auf unserer Seite, ein roter Schein weist uns den Weg!«
Ich wollte schon sagen, Puschkin, hör mir auf mit deinem Odysseus, ich bin schon selber nicht mehr der, der ich gern wäre, aber Placebo klärte mich auf. »Also, mit roter Schein, das weiß ich schon, meint er die Nachtclubs in der Schillerstraße. Da muss ich manchmal mit ihm hin!«
Dort angekommen, standen wir vor einem Schuppen namens »Red Piano« . Puschkin befahl uns, Wachs in die Ohren zu stopfen und ihn festzuhalten. Wachs hatten wir keines, aber festhalten mussten wir ihn, und er wehrte sich: »Lasst mich los! Hört ihr nicht den lieblichen Klang der Sirenen? Ich muss da rein, auch wenn sie mich vernichten, ich muss da rein!«
Eine Kraft hat der auf einmal gehabt! Hinter einer Hauswand tauchte noch der Achter auf. »Jetzt wär ich grad die Marlene Dietrich, soll ich mich nackert ausziehen?«
»Nein, jetzt nicht, Achter«, meinte ich ringend mit Puschkin, »da hast du keinen guten Zeitpunkt erwischt!«
Das zweite Ich
Und wie es halt so ist im Leben, dass alles auf einmal zusammenkommt, lief auf der anderen Straßenseite ein Mann, der genauso aussah wie ich. Das ist mir überhaupt noch nie passiert. Man sieht ja öfters irgendwelche Menschen, die einem Prominenten ähneln. Wenn man zu zweit ist, dann macht man gerne mal einen Scherz und sagt: »Schau, da ist der verschollene Bruder von Mario Adorf, wieso läuft der Richtung Bahnhof?« Oder: »Der heißt nicht bloß Johnny, das ist auch noch ein Depp!« Da hat man halt einen Spaß gemacht.
Aber in dieser Situation war ich sowieso ziemlich verwirrt und war auf einmal davon überzeugt, da vorne laufe ich, und mich gibt’s gar nicht. Ich ging mir also hinterher und studierte mich: »Aha, so gehe ich also.« Auf einmal ist der achtlos an einem Bettler vorbeigegangen. Das kenne ich von mir auch. Natürlich nur, wenn ich weiß, ich habe kein Kleingeld. Ich habe dem dann einen Euro gegeben, habe ihm aber gesagt, der ist nicht von mir, sondern von dem da vorne, weil mich gibt’s gar nicht. Das hat er nicht kapiert und ich auch nicht. Ich immer hinter meinem zweiten Ich her.
Plötzlich sind wir durch eine Türe gegangen, über der ein Schild angebracht war: Institut für individuelle Lebensberatung.
Ein endlos langer Gang. Links und rechts führten Türen zu Beratungsräumen: Sport, Politik, Kultur, Freizeit, Wirtschaft. Ich folgte mir in die Religionsberatung, und da saß auch schon eine freundliche Religionsberaterin.
Religionsberaterin: »Guten Tag, was kann ich für Sie tun?«
Zweites Ich: »Ja, grüß Gott, schauen Sie, folgende Situation. Ich bin jetzt seit über vierzig Jahren katholisch. Nicht, dass es mir nicht gefällt. Maria, Beichte, Weihwasser, einwandfrei. Pilgern, Altötting, frische Luft, man hat ein Ziel. Aber wissen Sie, insgesamt ist mir in letzter Zeit a bisserl fad geworden.«
Religionsberaterin: »Möchten Sie denn zu den Protestanten übertreten?«
Zweites Ich: »Was, zu den Sozis? Haha. Nein, so hart wollte ich das nicht angehen. Ich hab da mal eine Frage, ich weiß ja nicht, ob es stimmt, aber ich hab gehört, bei den Moslems hat man irgendwie mehrere Frauen?«
Religionsberaterin: »Ja, wie soll ich sagen, im Islam gibt es unter gewissen Voraussetzungen …«
Zweites Ich: »Nicht wahr, da hab ich mich also nicht verhört. Schauen Sie, da wär ich interessiert.«
Religionsberaterin: »Langsam, langsam. Da haben Sie natürlich auch Auflagen.«
Zweites Ich: »Auflagen hat man überall.«
Religionsberaterin: »Also, Sie müssen beten.«
Zweites Ich: »Kann ich.«
Religionsberaterin: »Auf einem Teppich.«
Zweites Ich: »Hab ich.«
Religionsberaterin: »Das Ganze dann Richtung Mekka.«
Zweites Ich: »Sagt mir jetzt nichts.«
Religionsberaterin: »Und das Ganze dann fünfmal am Tag.«
Zweites Ich: »Ja, freilich, haha. Fünfmal am Tag, so weit kommt’s noch. Sie, dass wir zwei uns da jetzt nicht missverstehen. Ich dachte eher so an einen gemäßigten Flügel.«
Religionsberaterin: »Ja, dann kein Alkohol.«
Zweites Ich: »Das ist gut. Mein Arzt hat auch gesagt, ich soll jetzt langsam mal a bisserl … Vielleicht abends zwei, drei Bier und a paar Schnäpse, aber dann ist es gut.«
Religionsberaterin: »Dann kein Schweinefleisch.«
Zweites Ich: »Schauen Sie, jetzt, glaube ich, reden wir zwei a bisserl aneinander vorbei.
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