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Altstadtrebellen

Altstadtrebellen

Titel: Altstadtrebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Giebel
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seien wir schon seit drei Jahren am Pilgern und hätten uns jetzt in der Wüste Gobi verlaufen.
     
    Wir waren aber erst zehn Minuten unterwegs. Plötzlich zeigt er mit der Hand auf den Boden: »Hier! Schon gesehen, die Pflastersteine direkt vor der Einfahrt? Ein wunderbares Grau. Herrliche Schattierungen. Und die Musterung, völlig anders als der übrige Gehsteig, später klassizistischer Jugendstil!«
     
    Puschkin war durchaus ein hilfsbereiter Mensch, da war ich mir sicher. Aber man merkte es nicht immer gleich, da er sich allzu leicht in seiner eigenen Welt verzettelte. Seine Hand deutete immer noch auf den Boden. Er hob missbilligend seine Augenbrauen in unsere Richtung: »Könnt ihr das erkennen?«
     
    »Ja, Puschkin, das kann schon sein, aber wenn wir so weitermachen, wenn wir wegen so was vor jeder Einfahrt stehen bleiben, dann kommen wir nie bis nach Schwabing!«
     
    Wir mussten schließlich alles erlaufen. U-Bahn ging ja nicht, für Puschkin musste alles ebenerdig sein. Schwabing, das war eine Idee von mir, weil da noch ein bisschen was los ist. Menschen, Begegnungen. Das ist es doch, was der Elmar braucht, wenn er wieder rauskommt. Und ich habe mir gedacht, dass wir für ihn vielleicht eine Anstellung als Schankkellner finden könnten, in einer Kneipe mit Fußballübertragung, da hätte er wenigstens noch eine Art von Sport.
     
    Und um dieser Überlegung nachzugehen, setzten wir uns bei schönstem Wetter in Schwabing in ein Straßencafé.
     
    Placebo: »Ich weiß nicht, ob ich mir das bloß einbilde, aber es gibt schon sehr viele schöne Frauen in Schwabing.«
     
    »Geh, Placebo, was willst du denn mit denen?«
     
    Placebo: »Ja, nix. Ich mein ja bloß, ist doch schön zum Anschauen.«
     
    »Anschauen, anschauen. Da schau ich hin und dann? Geh ich heim. Wenn ich eine Halbe Bier sehe, sag ich auch nicht: ›Schön!‹, und geh weiter. Die will ich dann auch trinken!«
     
    Placebo sieht mich lange ausdruckslos an: »Das muss ich jetzt aber nicht verstanden haben?«
     
    Puschkin: »Interessanter Aspekt, mein junger Held. Das erinnert mich an Moses und die Geschichte mit dem Goldenen Kalb. Um das sind sie auch nur getanzt. Was sollten sie auch sonst machen, sie konnten es ja nicht mitnehmen!«
     
    Placebo: »Das versteh ich wieder. Da sind sie ums Goldene Kalb herumgetanzt, und wenn der Mann heimkommt, fragt die Frau: ›Wo warste denn schon wieder?‹, und er sagt: ›Ja mei, bin halt noch ein bisserl ums Goldene Kalb herumgetanzt!‹«
     
    »Placebo, es geht darum: Wenn du immer nur schaust, passiert nichts, du musst hingehen und reden!«
     
    Placebo: »Nein, meine Devise war immer: Bevor ich was Falsches sage, bleibe ich lieber daheim. Außer mit meinem Ratschlag aus der Apothekenzeitschrift, weißt das noch? Schüchternheit besiegen durch eigene Vorstellungskraft. Das habe ich gestern wieder probiert im Englischen Garten. Da saß sie wieder, die 25-Jährige. Ich hab mich wieder hingesetzt und mir diesmal vorgestellt, sie ist 45. Merkst es? Ich bin schon besser geworden. Sie ist 45, und ich bin Dichter. Da habe ich gesagt: ›Ich bin kein Hengst, ich bin kein Stier. Wär gern ein Mensch, als Bär in dir.‹ Da ist sie wieder aufgestanden und gegangen. Aber mit so einem Blick, ich glaube, die will was von mir.«
     

Mit dem Gesicht zur Wand
     
    Nach einer Weile wurde Placebo nachdenklich: »Gestern habe ich mir wieder gedacht, wenn alle Männer außer mir schwul wären, dann hätte ich vielleicht auch mal eine Chance!«
     
    Fast traurig blickte er nach vorne, in unserem Straßencafé am Boulevard. Habe ich mir gedacht, es ist schon sehr wichtig in so einem Straßencafé, dass die Stühle locker in Richtung Straße ausgerichtet sind. Vor dir das Geschehen, hinter dir die Wand! So ist der Mensch angelegt.
     
    Ich bin schon sehr oft im Lokal falsch gesessen. Da steht man zu acht um einen Tisch herum, ich werde gefragt: »Wo magst du sitzen?«, und ich sage: »Mir egal«, und kriege prompt den Trottelplatz. Und falsch sitzen kann einem alles verderben. Zum Beipiel zu acht an einem Sechsertisch.
     
    Ich sitze dann immer an der Ecke, das Tischbein zwischen den Knien, links ist der Eingang, da zieht’s rein, rechts das Klo, da stinkt’s raus! Mit dem Elmar ist es mir auch schon passiert. In einem schummrigen Restaurant. Er sitzt natürlich an der Wand, hat das ganze Panorama vor sich. Ich sitze ihm gegenüber, sehe bloß eine cremefarbene Wand und seine sinnfreien Gesichtszüge. Eineinhalb

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