Alvion - Vorzeichen (German Edition)
mich ausruhen lassen, ehe ich schließlich einem erlauchten Kreis Rede und Antwort stehen musste. Fast einen ganzen Tag hatte meine Befragung durch Allon, den Befehlshaber der Stadt, Melin, den Befehlshaber der Streitmacht und Hael, dem höchsten königlichen Gesandten, gedauert. Wieder und wieder hatten sie mich nach Einzelheiten gefragt und nach Fehlern in meiner Aussage gesucht, denn natürlich hielt man mich zunächst einmal für einen Verräter, einen Spion oder einen Feigling. Irgendwann war ich schließlich so gereizt und müde, dass ich jene hohen Herren einfach anbrüllte:
„ Stellt mich doch einem Magier gegenüber, jener mag prüfen, ob ich die Wahrheit sage. Doch jetzt lasst mich endlich in Ruhe mit eurer Fragerei! Ich bin es leid!“
Daraufhin hatte man mich zumindest in Ruhe gelassen, aber mir war völlig bewusst, dass man mir nicht glaubte. Allerdings erschien ihnen die Sache wohl auch nicht wichtig genug, einen Magier darum zu bitten, den Wahrheitsgehalt meiner Worte zu prüfen, falls sich überhaupt einer in der Stadt aufhielt. Ebenso konnte niemand beweisen, dass ich nicht die Wahrheit sagte, daher wurde ich weder eingesperrt, meines Ranges enthoben oder vor Gericht gestellt, doch das Misstrauen blieb. Zumindest aber hatte sich die Frage beantwortet, warum ich unterwegs nirgendwo auf solische Truppen gestoßen war. Demnach war der Angriff so überraschend erfolgt, dass Ostsolien nach Westen hin bis zum Quus und nach Norden bis auf die Höhe von Perlia kampflos preisgegeben worden war. Erst jenseits des Flusses und bei der alten Hauptstadt sammelten sich die hastig aufgestellten solischen Armeen, um den Feind aufzuhalten. Alles lief also auf eine große Schlacht bei Perlia hinaus, denn Solien würde die Stadt nicht aufgeben und kein vernünftiger Taktiker auf der Gegenseite würde eine solche Bedrohung für den eigenen Nachschub ignorieren und daran vorbeiziehen. Die Sache gestaltete sich für beide Seiten denkbar einfach: Die Solier mussten die Stadt halten, die Meridianer mussten sie erobern.
Das Schicksal Bilonias, das nunmehr für mich zur Gewissheit geworden war, machte mich zutiefst betroffen und wütend zugleich, denn es führte mir die bittere Tatsache vor Augen, dass binnen weniger Wochen alles, was vorher gut und unveränderlich schien, vernichtet worden war. Und egal, wie der Krieg letztendlich ausging, nichts würde danach wieder so sein, wie vorher. Hass und Wut auf Molaar, den finsteren Herrscher Meridias und seine Handlanger loderten in mir, da es nicht zum ersten Mal geschah, dass er und seinesgleichen meine Welt in Trümmern legten. Er würde ganz persönlich dafür bezahlen müssen, dass schwor ich mir jeden Tag aufs Neue.
Seit jenem Tag, als ich meine abgerissene Kleidung gegen eine Uniform getauscht hatte, unterstand ich Allons Befehl und war zum gewöhnlichen Wachdienst auf den Mauern eingeteilt. Nun trug ich also über meinem eigenen Kettenhemd ein sauberes, grünes Hemd der königlichen Armee, darüber eine dunkelblaue, aufgeknöpfte Jacke, mit goldenen Knöpfen und auf den Schultern die silberfarbenen Spangen, die mich als Offizier auswiesen, obwohl ich momentan niemanden befehligte.
Ich fühlte, wie ich immer schläfriger wurde und war mehrmals nahe daran, einfach einzuschlafen, doch dann sah ich hinter dem flimmernden Luftvorhang am Horizont Bewegung und einige eigenartig verzerrte Schemen. Es war ein Trupp Reiter, vermutlich einer unserer Spähtrupps, der da in vollem Galopp auf Perlia zuritt. Es dauerte noch einige Minuten, bis sie heran waren und das geöffnete Stadttor durchquerten. Irgendetwas schien sie in große Aufregung zu versetzen, da sie ihre Pferde kaum zügelten, auch als sie unter lautem Hufgeklapper weiter in die Stadt hineinritten. Gerade noch konnte ich erkennen, dass einer der Soldaten vor sich auf dem Pferd eine zusammengesunkene Gestalt festhielt, damit diese nicht aus dem Sattel rutschte, Einzelheiten aber konnte ich nicht sehen. Ebenso schnell, wie es bei ihrer Ankunft aufgeflackert war, ließ mein Interesse wieder nach, da ich ohnehin nicht so schnell herausfinden würde, was diese Soldaten so in Aufregung versetzt hatte. Immerhin aber beschloss ich in diesem Moment noch, mich während der nächsten Tage für einen Spähtrupp zu melden, da ich die Langeweile der Mauerwachen mittlerweile satt hatte, und mich das erste Mal seit langem endlich wieder kräftig genug fühlte. Vielleicht würde mein Gesuch ja in der Hoffnung bewilligt werden, ein
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