Alzheimer und Demenzen
Angst scheint jedoch mit dem drohenden Verlust des eigenen »Selbst« verbunden zu sein (siehe hierzu → S. 81 ff.).
»Krankheitseinsicht« ist keine feste Größe
Neuere Forschungen, die von diesem differenzierteren Verständnis von »Krankheitseinsicht bei Demenz« ausgehen, kommen nun zu der Erkenntnis, dass die meisten Menschen mit Demenz eine gewisse Krankheitseinsicht haben – zumindest die Einsicht, dass bestimmtegeistige Fähigkeiten abgenommen haben. Diese neuere Erkenntnis widerspricht den früheren Annahmen, dass Demenzkranke immer unter vollständigen Anosognosie leiden, d. h. keinerlei Krankheitseinsicht besitzen.
Selbst- und Fremdwahrnehmung
Doch auch wenn man davon ausgehen kann, dass wahrscheinlich jeder Demenzkranke bestimmte Veränderungen an sich wahrnimmt, zeigen Untersuchungen doch auch, dass sich die Selbstwahrnehmung der Betroffenen und die Fremdwahrnehmung durch Angehörige in den seltensten Fällen decken.
wichtig
Meist schildern Angehörige, die die Krankheitszeichen des Demenzkranken nur aus der Beobachtung seines Verhaltens abschätzen können, ein größeres Ausmaß der Beeinträchtigungen bzw. andere Veränderungen, als der Demenzkranke von sich selbst berichtet.
So äußern viele Demenzkranke in klinischen Untersuchungen auf Nachfrage zwar, dass sie vergesslicher geworden seien, doch geben sie weitaus seltener als ihre ebenfalls befragten Angehörigen an, dass diese geistigen Veränderungen negative Auswirkungen auf ihre Alltagsfähigkeiten hätten.
Natürlich können wir als Außenstehende niemals mit Gewissheit sagen, ob die Betroffenen ihre Einbußen tatsächlich nicht in dem Maße wahrnehmen wie ihre Angehörigen, oder ob sie ihre fortschreitende Krankheit zwar wahrnehmen, aber nicht eingestehen. Beide Positionen werden in der Forschung vertreten, doch scheint sich zunehmend die Erkenntnis durchzusetzen, dass beide Ursachen meist in komplexer Weise zusammenspielen: Zum einen können Menschen mit Demenz bestimmte Symptome aufgrund ihrer neurophysiologischen Veränderungen im Gehirn nicht erkennen, zum anderen offenbaren sie die Beeinträchtigungen nicht immer in dem von ihnen selbst wahrgenommenen Ausmaß.
Krankheitseinsichten sind unterschiedlich
Inwieweit ein demenzkranker Mensch seine Krankheit als solche erkennt und versteht, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Einen sehr großen Einfluss hat zunächst einmal die Persönlichkeit des Kranken. Menschen mit einem stark ausgeprägten Selbstwertempfinden können offenbar dem Verlusterleben ein stärkeres Sicherheitsgefühl entgegensetzen und daher mehr Krankheitseinsicht »ertragen« als Menschen, die schon immer selbstunsicher waren. Darüber hinaus spielt in vielen Fällen auch eine entscheidende Rolle, welchen Stellenwert intellektuelle Fähigkeiten im Leben der Betroffenen hatten: Menschen, deren gesamtes Selbstbild auf ihren intellektuellen Fähigkeiten beruht, haben häufig viel größere Schwierigkeiten, den Verlust dieser alles bestimmenden Fähigkeiten zu akzeptieren.
Das Ausmaß der Krankheitseinsicht hängt außerdem mit der Form der Demenzerkrankung und dem Krankheitsstadium ab: So zeigen demenzkranke Menschen, bei denen das Stirnhirn von pathologischen Prozessen betroffen ist, deutlich weniger bzw. seltener Krankheitseinsicht als Menschen ohne sog. Stirnhirnsymptomatik. Und Menschen in beginnenden Phasen der Demenzerkrankung haben mehr bzw. umfassendere Krankheitseinsicht als Menschen in fortgeschrittenen Phasen der Krankheit.
Heute wenig, morgen viel Krankheitseinsicht
Die Beantwortung der Frage, wie sehr ein Mensch mit Demenz seine eigenen Veränderungen wahrnimmt und sie als Zeichen einer ernst zu nehmenden, fortschreitenden Krankheit begreift, wird darüber hinaus durch die Tatsache verkompliziert, dass Krankheitseinsicht bei Demenzkranken auch wechselhaft ist: Dieselbe Person hat in manchen Situationen offenbar eine stärkere Wahrnehmung ihrer demenziellen Symptomatik als in anderen Situationen. Dieses wechselhafte Verhalten hängt mit unterschiedlichen Faktoren zusammen. So spielt sicherlich die Umgebung eines Menschen mit Demenz eine große Rolle bei seiner Eigenwahrnehmung und der Frage, welche Seite er von sich zeigt. Je stärker andere Personen, die den demenzkranken Mensch umgeben, sich auf seine Defizite und »Fehler« konzentrieren und diese betonen, desto größer scheint sein Bedürfnis, sich selbst zu schützen zu sein, indem er seine Schwächen leugnet oder gar nicht wahrnimmt und seine
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