Alzheimer und Demenzen
verbliebenen Stärken in den Mittelpunkt stellt.
Natürlich spielen auch Tagesform, Stimmung, aktuelle Bedürfnisse und emotionale Reaktionen auf stattgefundene Erlebnisse immer eine Rolle bei der jeweiligen Eigenwahrnehmung bzw. -offenbarung des Demenzkranken. Doch dass Krankheitseinsicht bei Demenz nicht nur durch psychische und soziale Faktoren bestimmt wird, sondern auch eine neurophysiologische Grundlage hat, zeigt die Erfahrung, dass die Fähigkeit, die eigenen Demenzsymptome wahrzunehmen, durch Fortschreiten der Demenzerkrankung sehr häufig abnimmt oder manchmal vielleicht sogar verschwindet. Ein uneingeschränktes Funktionieren gewisser Gehirnregionen ist offenbar die Voraussetzung dafür, dass Menschen in der Lage sind, sich selbst zu reflektieren und die eigenen Fähigkeiten einschätzen zu können. Je weiter eine Demenzerkrankung fortschreitet, desto wahrscheinlicher ist es, dass die für Krankheitseinsicht relevanten Gehirnstrukturen vom Abbau betroffen sind.
wichtig
Eine akzeptierende soziale Umwelt, in der die demenzbedingten Beeinträchtigungen zwar bekannt sind, aber nicht im Fokus der Aufmerksamkeit stehen, sondern verbliebene Fähigkeiten hervorgehoben werden, fördert offenbar eine realistischere Eigenwahrnehmung des Menschen mit Demenz.
»Gedächtniskurs? Mir fehlt doch nichts!«
Patienten, bei denen in einem frühen Krankheitsstadium eine Demenz diagnostiziert wird, äußern oft zunächst den dringenden Wunsch, in einem Kurs ihr Gedächtnis zu aktivieren, um dem geistigen Abbau aktiv entgegenzuwirken. Doch einige Monate später, wenn ihnen ein frei gewordener Platz in einem Gedächtniskurs angeboten wird, die Teilnahme ablehnen mit der Begründung, dass sie einen solchen Kurs nicht brauchen – sie hätten ja schließlich gar keine Gedächtnisprobleme.
Wie bewältigen Demenzkranke dieses Erleben?
Viele Menschen mit Demenz empfinden ihre Krankheit als eine Bedrohung ihres Selbstwertes, ihrer Identität und ihres selbstbestimmten Lebens überhaupt. Um mit einer solchen Kränkung und Gefährdung leben zu können, müssen sie Bewältigungsstrategien entwickeln, die es ihnen ermöglichen, eine für sie erträgliche Form der Auseinandersetzung mit der Krankheit zu finden.
In ihrem Bemühen ein krisenhaftes Lebensereignis zu verarbeiten und es zu bewältigen, haben Menschen immer 2 verschiedene Möglichkeiten: Sie können die Ursache der Krise entweder in den Fokus ihrer Aufmerksamkeit nehmen und all ihre Energie darauf richten, dieses Unheil zu bekämpfen oder zumindest klein zu halten oder sie können die bedrohliche Entwicklung aus dem Blickwinkel ihrer Aufmerksamkeit verbannen und sich auf andere Dinge konzentrieren, die ihnen Halt, Sicherheit und Kraft geben. Die psychologische Erforschung dieser menschlichen Bewältigungsstrategien zeigt sehr klar, dass das Hin- bzw. Abwenden der Aufmerksamkeit nicht immer ein absichtsvolles und willentlich steuerbares Verhalten ist, sondern teilweise unwillkürlich und automatisch geschieht und immer dem Überlebenstrieb folgt, durch den das Selbst des Menschen versucht, sich vor existenzbedrohenden Einflüssen zu schützen.
Verschiedene Strategien
Auch hinsichtlich der Wahl ihrer Bewältigungsstrategien zeigen sich bei demenzkranken Menschen wieder große Unterschiede. Während manche von ihnen ganz offensiv mit ihrer Erkrankung umgehen, in Gedächtniskurse gehen, Freunde, Bekannte und Nachbarn über ihre Erkrankung aufklären, sich in Gesprächskreisen mit anderen Betroffenen über ihre Erlebnisse austauschen oder sogar in der Öffentlichkeit, z. B. auf Kongressen oder vor der Fernsehkamera, über ihre Krankheit sprechen, wählen andere den Weg des Verschweigens bzw. der Nichtbeachtung. Meist zeigt auch der einzelne Mensch mit Demenz ein ganzes Spektrum von Bewältigungsverhalten, das von Nichtbeachtung der Krankheit bis zum bewussten Konfrontieren mit der Erkrankung reicht – je nach Situation, eigener Befindlichkeit oder Umgehensweise des sozialen Umfeldes.
Angehörige sind zwiegespalten
In Angehörigengruppen äußern Angehörige, deren demenzkranke Familienangehörige ihre Demenz zu verleugnen scheinen, häufig, dass sie sich wünschten, der Kranke würde sich bewusst mit seiner Krankheit auseinandersetzen und angemessene Schlussfolgerungen aus den Symptomen seiner Erkrankung ziehen. Er möge z. B. erkennen, dass er Hilfe annehmen oder das Autofahren einstellen sollte. Andere Angehörige, deren demenzkranke Familienangehörige ihre Krankheit
Weitere Kostenlose Bücher