Alzheimer und Demenzen
Angehörige in Beratungsgesprächen, dass sie im Beisammensein mit dem Demenzkranken oftmals synchron Mitgefühl und Ärger empfinden: Auf der einen Seite spüren sie aufgrund ihres Einfühlungsvermögens die Verletzlichkeit des Kranken und fühlen mit ihm, auf der anderen Seite lösen seine Verhaltensweisen dennoch aversive Gefühlsreaktionen bei ihnen aus.
»Ich werde mit diesem emotionalen Chaos nicht fertig.«
Als kaum aushaltbar bezeichnet eine Frau ihre emotionale Zerrissenheit, die sie im Umgang mit ihrer demenzkranken Schwiegermutter empfindet:
»Es ist so ein gefühlsmäßiges Hin-und-Her! Auf der einen Seite tut sie mir wirklich leid: Sie ist krank und wird immer hilfloser. Aber wenn ich dann mit ihr zusammen bin, spüre ich ganz schnell Ärger aufkommen. Und das kann ich einfach nicht abstellen. Obwohl ich die besten Vorsätze habe und berücksichtige, dass sie alt und krank ist und nicht anders kann. Aber wenn sie dann wieder so einen Unsinn erzählt, explodiere ich doch wieder – nervlich macht mich das völlig fertig!«
Und eine andere Frau bezeichnet es als »emotionales Chaos« aus Wut und Mitgefühl, das sie im Umgang mit ihrer demenzkranken Mutter empfindet und das sie noch nicht bewältigen kann.
Als Angehörige erlebe ich auch andere Aspekte von Zerrissenheit: Oft weiß ich nicht, ob ich die Beeinträchtigungen des Kranken wirklich vollständig akzeptieren oder nicht doch besser dagegen ankämpfen und ihn zubestimmten Aktivitäten drängen sollte. Häufig erlebe ich ein Zwiegespaltensein zwischen der Erfüllung seines Bedürfnisses, nur von mir versorgt zu werden und der Befriedigung meines eigenen Bedürfnisses, Zeit ohne ihn verbringen zu wollen. Ambivalenz erlebe ich auch, wenn es darum geht, entscheiden zu müssen, ob ich in der jeweiligen Situation sein Recht auf Selbstbestimmung anerkenne oder über seinen Kopf hinweg Entscheidungen für ihn fälle.
Die große Herausforderung, die diese widersprüchlichen Situationen an mich als Angehörige stellen, hat ein Ehemann einer demenzkranken Frau sehr treffend auf den Punkt gebracht, als er sagte: »Man muss die richtige Ausbalancierung finden – sonst funktioniert es nicht!«
»Sie ist doch immer noch meine Mutter«
Dem Kranken seinen Willen lassen oder sich durchsetzen?
Ein pflegender Sohn berichtet in der Beratung, dass es im Zusammenleben mit seiner demenzkranken Mutter immer wieder Situationen gebe, in denen er einfach nicht wisse, wie er sich entscheiden solle: der Mutter ihren Willen lassen – immerhin sei sie doch noch immer seine Mutter und habe ein Recht auf Selbstbestimmung – oder durchsetzen, was er für richtig halte, auch wenn seine Mutter dies nicht gerne habe. Er fühle sich in solchen Momenten richtig zerrissen! So wolle die Mutter seit dem vergangenen Jahr plötzlich nicht mehr ihren Gehstock benutzen, stattdessen nehme sie nun immer einen alten Rollkoffer mit, den sie hinter sich herziehe und auf den sie sich stütze, wenn sie unsicher werde. Er fühle sich mit dieser Lösung nicht behaglich, doch nach langem Überlegen ließ er ihr den Willen – nicht ohne immer wieder an seiner Entscheidung zu zweifeln!
Selbstklärung: ein wichtiger Bewältigungsschritt
Angehörige von Demenzkranken sollten auch auf sich selbst achten, sonst geraten sie schnell in einen Teufelskreis aus Überforderung und Frustration. Es ist wichtig, die eigenen Bedürfnisse fest im Blick zu haben, für sich selbst freie Zeit zu planen, um nicht auch noch die eigene Gesundheit und Kraft zu verlieren.
Wahrscheinlich habe ich mich an Angehörige beim Lesen dieses Kapitels an einigen Stellen wiedererkannt. Dieses Wiedererkennen ist meist eine zweischneidige Erfahrung: Einerseits ist es schmerzlich, wenn so deutlich angesprochen wird, was ich mir selbst so klar nicht gerne vor Augen halte. Andererseits hat es auch eine gewisse entlastende Funktion, wenn ich erfahre, dass es offenbar nicht nur mir so ergeht, sondern vielen Menschen, die einen Menschen betreuen, der an einer Demenz leidet. Diese Form der Selbsterkenntnis ist darüber hinaus die Voraussetzung dafür, dass ich selbst verstehe, was mit mir los ist, dass ich anderen Menschen meine Situation erklären kann und dass ich gezielt für mich sorgen und mir Hilfe holen kann. Davon handeln die beiden letzten Kapitel dieses Buches.
Die eigenen Bedürfnisse erkennen
Im Kontakt mit einem demenzkranken Menschen ist immer wichtig, hinter seinen Äußerungen die versteckten Selbstoffenbarungen und
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