Am Abend des Mordes - Roman
Harry verlassen.
GB: Stattdessen haben Sie ihn erschlagen?
EB: Das ergab sich aus der Situation heraus.
GB: In den Vernehmungen, die ich gelesen habe, steht, dass Sie sich dennoch etwas Zeit zum Nachdenken nahmen?
EB: Ich begreife nicht, warum Sie hier sitzen und mich noch einmal vernehmen? All diese Fragen habe ich vor langer Zeit bereits beantwortet, und dafür, dass ich Harry umgebracht habe, musste ich elf Jahre ins Gefängnis. Ich habe im Großen und Ganzen den Kontakt zu meinem Sohn verloren. Finden Sie nicht auch, dass ich … dass ich einen hohen Preis für meine Tat bezahlt habe?
GB: Entschuldigen Sie. Doch, Sie haben einen hohen Preis bezahlt. Es ist nur, dass …
EB: Dass was?
GB: Dass man mich hergeschickt hat, um diese Fragen zu stellen.
EB: Hergeschickt?
GB: Ja. Nun gut, das spielt ja keine Rolle.
Warum habe ich an dieser Stelle die Fassung verloren?, denkt er. Was hat dazu geführt, dass ich plötzlich keine Lust mehr hatte, meine Rolle zu spielen.
Denn genau das war passiert. Für einen kurzen Moment, unmittelbar bevor er sie um Entschuldigung bat, hatte er das Gefühl gehabt, die Szene von außen zu betrachten, von einem anderen Punkt im Raum: der rechthaberische Kriminalinspektor und die bereits rechtskräftig verurteilte Frau, die sich in dem ansonsten menschenleeren Speisesaal an einem Tisch gegenübersaßen, wo er sie mit seinen unverschämten Fragen voller vorwurfsvoller Andeutungen quälte. Und aus dieser Position, aus dem Blickwinkel eines unbeteiligten Beobachters heraus, lagen alle Sympathien auf Seiten der Frau. Ohne jeden Zweifel. Der Polizeibeamte verkörpert Macht und Arroganz, sonst nichts. Sein Auftreten ist zudringlich und unwürdig. Rücksichtslos nimmt er für sich das Recht in Anspruch, in das Leben anderer Menschen einzudringen. Jederzeit, wie er will, ohne auch nur um Entschuldigung zu bitten.
Aber er hatte um Verzeihung gebeten. Er hatte sich entschuldigt. Aus genau diesem Grund.
EB: Ich verstehe nicht recht.
GB: ( Lacht kurz, es klingt aufgesetzt. ) Nein, das habe ich nicht gewollt.
EB: Was haben Sie nicht gewollt?
GB: Die Schuld auf einen anderen zu schieben. Im Grunde wollte ich nur sagen, dass ich hier sitze, weil ich meinen Job mache. Wie die meisten anderen Menschen ihren Job machen … nehme ich an. Man bekommt eine Aufgabe zugeteilt und versucht, sie nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen. Ich habe von meinem Chef den Auftrag bekommen, diese beiden Fälle zu untersuchen. In erster Linie Arnold Morinders Verschwinden, darüber hinaus aber auch den Mord an Ihrem Mann. Tja, so sieht es aus. (Für mindestens fünf Sekunden herrscht Stille auf dem Band.)
EB: Und nur, damit Sie guten Gewissens Ihren Job erledigen können, möchten Sie, dass ich alle möglichen Fragen beantworte, die ich schon hundert Mal beantwortet habe?
GB: Nein, ganz und gar nicht. Sie haben natürlich das Recht, dieses Gespräch abzubrechen, wann immer Sie wollen. Sie müssen entschuldigen, aber ich bin im Moment nicht richtig ich selbst. Meine Frau ist vor einem Monat gestorben, ich habe Konzentrationsprobleme.
Lag es daran, dass sie meinte, die Tat habe sich spontan aus der Situation heraus ergeben, überlegt er mit plötzlich galoppierendem Herzen im Bett liegend. Habe ich ihr deshalb von Marianne erzählt? Habe ich es deshalb nicht hinuntergeschluckt? Aus der Situation heraus ?
EB: Das tut mir leid für Sie. Wie ist sie gestorben?
GB: Ein Aneurysma. Ein kleines Blutgefäß im Gehirn ist geplatzt … tja, das war alles.
EB: Vielleicht sollten Sie besser gar nicht arbeiten?
GB: Vermutlich haben Sie recht. Jedenfalls sollte ich mit Ihnen nicht darüber reden.
EB: Das macht nichts. Mir bekommt jedes Gesprächsthema besser als diese alten Geschichten.
GB: Das kann ich verstehen. Meinen Sie, wir könnten noch einen Kaffee bekommen? Also nur, wenn Sie einverstanden sind, dass wir noch etwas weitermachen?
EB: Möchten Sie vielleicht auch einen kleinen Cognac?
GB: Cognac?
EB: Ja. Wissen Sie nicht, was das ist?
GB: Doch, ich meine, mich zu erinnern, dass ich schon einmal davon gehört habe. Warum eigentlich nicht? (Eine Minute Stille, während Ellen Bjarnebo Kaffee und Cognac besorgt, aber aus irgendeinem Grund lauscht er auch dieser Stille gespannt.)
EB: So, bitte. Prost, Herr Kommissar.
GB: Ich bin nur Inspektor.
EB: Jedenfalls Prost.
GB: Prost.
EB: Gut, dann dürfen Sie von mir aus weitermachen.
GB: Danke.
Er muss dafür sorgen, dass dieses Band vernichtet wird. Oder
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