Am Abend des Mordes - Roman
kann er vielleicht versuchen, es der Polizeihochschule als Beispiel dafür zu verkaufen, wie eine Vernehmung nicht ablaufen darf? Finden Sie fünfundfünfzig Fehler. So darf man seine Arbeit beim besten Willen nicht machen.
Aber auf dem Band hört man nicht alles, denkt er. Bei weitem nicht, und oft ist das, was man nicht hört, das eigentlich Interessante. Als er nun mit geschlossenen Augen in diesem sargartigen Zimmer liegt und ihren Stimmen lauscht, sieht er auch alles andere: ihre Positionen am Tisch, ihre Bewegungen, ihre Mienen, ihr Zusammenspiel. Zusammenspiel? Nein, darum geht es natürlich nicht. Und seine eigenen Bewegungen und Gesichtsausdrücke sieht er auch nicht, aber da ist irgendetwas mit der Atmosphäre im Raum und mit ihrer … Präsenz?
Denn sie findet das Ganze nicht uninteressant. In gewisser Weise, und zumindest ab und zu widerspricht ihre Ausstrahlung ihren Worten. Sie findet es gar nicht unangenehm, sich mit ihm zu unterhalten. Sie steht ihm positiv gegenüber, in diesen Dingen irrt man sich nicht, er würde fast behaupten wollen, dass sie ihn mag. Und dass sie die Themen, über die sie sprechen, wichtig findet. Dass sie … dass sie in Wahrheit nicht das Geringste dagegen einzuwenden hat, das Gespräch fortzusetzen, vor allem seit auf ihrem Tisch eine zweite Tasse Kaffee und ein Cognac stehen. Es ist ein heller Abend, nichts lässt erkennen, dass sich sechs weitere Menschen in diesem Haus aufhalten, auch wenn es gelegentlich im Gebälk knackt und knirscht, was man sogar auf dem Band hören kann. Vielleicht sind einige bereits zu Bett gegangen, vielleicht sind andere draußen und gehen spazieren, die Wolken hängen höher, und es scheint aufzuklaren.
GB: Also, ich habe mir wie gesagt Gedanken über Ihre Nachbarn gemacht. Sie hatten ein etwas angespanntes Verhältnis zu Ihnen, war es nicht so?
EB: Doch, das ist richtig.
GB: Können Sie mir davon erzählen?
EB: Es ging um nichts Besonderes. Harry und Göran zogen einfach nie am selben Strang. Harry war neidisch auf sie. Ihr Hof war größer, und auf Groß-Burma funktionierte alles viel besser, das konnte er irgendwie nicht ertragen.
GB: Und die Nachbarn wussten, dass er Sie und Billy schlecht behandelte?
EB: Das wussten sie. Aber es ging sie nichts an, sie mischten sich niemals ein.
GB: Und nachdem Sie es getan hatten, nachdem Harry verschwunden war, da ahnten sie nichts?
EB: Ich glaube es ehrlich gesagt nicht. Göran half mir in dem Sommer auf dem Hof.
GB: Bis man Harry fand?
EB: Ja. Danach veränderte sich natürlich alles.
GB: Sie hätten damit durchkommen können, haben Sie mal daran gedacht?
EB: Ja, natürlich. Aber es kam, wie es kam.
GB: Wenn man die Leichenteile nicht gefunden hätte, wären Sie vielleicht unbehelligt geblieben. Was meinen Sie, wie wäre die Lage dann gewesen? Heute zum Beispiel?
EB: Ich versuche mich im Allgemeinen davon abzuhalten, in diesen Bahnen zu denken.
GB: Aber damals haben Sie doch sicher darüber nachgedacht, nicht? In dem Sommer?
EB: Kann sein. Aber es ist ja sowieso …
GB: Ja?
EB: Ich glaube, was passiert, das passiert sowieso. Wir können nicht alles beeinflussen.
GB: Wie meinen Sie das?
EB: Ich habe Harry erschlagen. Ich tat es, weil ich es tun musste. Aber genauso unausweichlich war wohl, dass ich die Strafe dafür auf mich nahm. Vielleicht hätte ich mit der Schuld nicht leben können … auf Dauer, meine ich.
GB: Ich verstehe. Aber Sie hatten auch noch eine andere Schuld auf sich geladen, richtig? (Fünf Sekunden Stille).
EB: Sie meinen Göran Helgesson?
GB: Ja?
EB: Woher wissen Sie das? Darüber steht ja wohl nichts in den Protokollen?
GB: Ich habe gestern mit Inger Berglund gesprochen.
EB: Inger Berglund?
GB: Ja, damals hieß sie sicher Inger Helgesson. Die Tochter auf Groß-Burma.
EB: Aha? Ich verstehe. Und sie hat Ihnen das erzählt?
GB: Ja, sie hat mir erzählt, dass Sie und ihr Vater ein Verhältnis hatten und dass Sie es enthüllt haben.
EB: ( Nach einigen Sekunden des Zögerns ). Ja, das stimmt, das habe ich getan. Vielleicht war das falsch, ich habe später oft darüber nachgedacht. Aber damals war ich mir sicher, so handeln zu müssen.
GB: Wann genau war das?
EB: Nachdem ich ungefähr seit einem halben Jahr in Hinseberg saß. Es war mir wichtig, moralisch richtig aufzutreten. Ich hatte … nun ja, die habe ich im Übrigen schon immer und bis heute gehabt … eine Stimme, die mir irgendwie sagt, wie ich handeln soll. Das klingt vielleicht seltsam oder
Weitere Kostenlose Bücher