Am Abend des Mordes - Roman
versuchte, Tomaten zu ziehen, kann sie die beiden nicht erkennen. Eine nennenswerte Ernte kommt dabei nie heraus, aber ihr reicht es schon, ein bisschen in den Töpfen zu stochern und die sonnenwarmen Leckerbissen direkt vom Zweig zu essen; damit ist sie gerade beschäftigt, als die Besucher eintreffen. Sie wischt sich die Erde von den Händen und geht hinaus, um genauer nachzusehen.
Staffan Larsson und Börje Granat.
Harrys alte Freunde. Mit denen er seit Kindertagen herumhing und die er – fällt ihr plötzlich ein – an jenem Samstag in der Stadt traf. An seinem letzten Samstag.
Mit denen er Bier trank und Karten spielte und an die er achthundert Kronen verlor; sie hat die beiden seit vielen Jahren nicht mehr gesehen – höchstens zufällig und von fern, aber es ist nicht ihr erster Besuch auf Klein-Burma. Am Anfang, in den allerersten Jahren, waren sie ein paarmal zu ihnen gekommen. Staffan hatte damals eine Verlobte, eine schüchterne Finnin namens Riita, die Lieder aus Karelien sang, wenn sie betrunken war.
Aber das ist inzwischen mehr als zehn Jahre her. Nun ja, zwölf, sie kann sich jedenfalls nicht erinnern, nach Billys Geburt jemals mit einem der beiden gesprochen zu haben.
Jetzt steigen sie aus dem Wagen und schauen sich ein wenig unschlüssig um. Börje hält eine Plastiktüte in der Hand, Staffan einen Blumenstrauß. Ihr schießt der Gedanke durch den Kopf, dass sie aussehen wie zwei Bauerntölpel aus einem alten schwedischen Heimatfilm.
Aber dann fällt sie ihnen ins Auge, und sie richten sich auf und grüßen sie ernst und mit festem Händedruck.
»Das mit Harry ist echt zum Kotzen«, sagt Börje. »Du hast nichts Neues gehört?«
Sie schüttelt den Kopf. Nein, sie hat nichts gehört. Staffan überreicht den Blumenstrauß. Er ist noch in gelbliches Zellophan eingeschlagen, und sie nimmt an, dass sie ihn an einer Tankstelle gekauft haben. »Wir wollten nur mal vorbeikommen und nachhören«, sagt er.
Sie bedankt sich für die Blumen.
»Ob du jemanden zum Reden brauchst«, fährt Staffan fort, »oder so.«
Sie sagt, dass sie eine Vase holen muss, und bittet die beiden, sich an den Tisch vor der Giebelseite des Hauses zu setzen. Als sie wieder herauskommt, sitzen sie dort mit Zigaretten in den Händen. Sie fragt, ob sie eine Tasse Kaffee haben möchten.
»Nein, danke«, antwortet Börje. »Möchtest du ein Bier?«
Er zieht ein Sixpack aus der Plastiktüte.
»Wir wollten nur mal hören, wie es dir geht«, erklärt Staffan.
»Es ist echt zum Kotzen«, sagt Börje und verteilt Bier. Staffan öffnet seine Dose und trinkt einen Schluck, Börje folgt seinem Beispiel. Sie zögert, öffnet dann ebenfalls ihre Dose, trinkt aber nicht.
»Man fragt sich natürlich«, sagt Staffan.
»Was zum Teufel da passiert ist«, fährt Börje fort.
In den Zeitungen hat zwar gestanden, dass Harry verschwunden ist, aber das ist jetzt schon ein paar Wochen her. Obwohl Börje und Staffan selbstverständlich trotzdem gut informiert sein dürften, denkt sie.
»Ja, ich tappe immer noch im Dunkeln«, sagt sie. »Hat die Polizei auch mit euch gesprochen?«
»Ein paar Mal«, antwortet Börje. »Aber eher am Anfang. Man ist sich fast ein bisschen vorgekommen, als würden sie einen verdächtigen.«
»Die stecken fest«, meint Staffan. »Das wundert einen nicht. Also, ich kapiere echt nicht, wo er hin ist. Du vielleicht?«
»Ich habe keine Ahnung«, sagt sie. »Es ist mir ein Rätsel.«
»Genau«, bestätigt Börje. »Ein verdammtes Rätsel ist es.«
»Er ist wirklich ein feiner Kerl«, sagt Staffan. »Man hofft natürlich, dass ihm nichts passiert ist.«
»Das wäre verdammt traurig«, ergänzt Börje.
Sie bleiben eine Stunde sitzen, rauchen eine Zigarette nach der andern und leeren ihr Sixpack, und wenn sie später daran zurückdenkt, weiß sie, dass es die einzige Stunde in dem ganzen Sommer ist, in der sie sich wirklich schlecht fühlt. Staffan Larsson und Börje Granat bilden die Summe aller Menschen in der Welt, die Harry vermissen, sie kommen mit Bier und Blumen, und sie sitzt da und lügt ihnen ins Gesicht. Sie fühlt sich, als würde ihr ein Nagel ins Herz gerammt. Sie bringen – auf ihre unbeholfene und bauerntölpelhafte Art – zum Ausdruck, wie sehr sie Harry mögen, was für ein toller Freund er immer gewesen ist und wie sehr sie sich wünschen, dass er wieder auftaucht. Um zu erklären, was passiert ist und wo in aller Welt er gesteckt hat.
Dass alles wieder so wird wie immer. Sie erzählen ihr
Weitere Kostenlose Bücher