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Am Abend des Mordes - Roman

Am Abend des Mordes - Roman

Titel: Am Abend des Mordes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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über die innere oder die äußere Landschaft?«, fragt Rönn.
    »Beide«, antwortet Barbarotti. »Zweifellos beide.«
    »Bei der äußeren kann ich Ihnen auch nicht helfen«, erklärt Rönn. »Aber das ist nicht so wichtig. Wir müssen versuchen, Ihr Inneres in Ordnung zu bringen. Dort sitzt die Trauer.«
    »Ich finde nicht, dass es den Anschein hat, als wäre hier überhaupt irgendetwas in Ordnung«, versucht er Rönn zu verdeutlichen. »Wenn ich mich recht erinnere, habe ich mich in ein Bett am Polarkreis gelegt und bin auf der Beerdigung meiner Mutter aufgewacht, und nun ist die Kirche leer, und Sie tauchen auf. Bin ich jetzt auch tot, oder was ist hier los?«
    »Das denke ich eigentlich nicht«, erwidert Rönn. »Aber ich sehe, dass Sie unseren Termin abgesagt haben. Wenn Sie nicht tot sind, könnten Sie mich anrufen und einen neuen Termin vereinbaren.«
    Das verspricht er. Dann ist auch Rönn verschwunden. Um ihn herum ist es wesentlich dunkler geworden, und plötzlich spürt er einen Stich im Arm.
    Er schlägt die Augen auf und schließt sie wieder, Letzteres, um gegen eine heftige Übelkeit anzukämpfen, die ihn wie ein Luftstoß durchfährt. In der kurzen Zeit, die seine Augen offen gewesen sind, hat er jedoch feststellen können, dass in seinem Zimmer völlige Dunkelheit herrscht. Oder dass er blind geworden ist.
    Er glaubt, dass es dieses Zimmer in der Pension ist.
    Er glaubt, dass er wach ist.
    Die Stelle, in die er am rechten Unterarm gestochen wurde, brennt immer noch. Er scheint Arme und Beine nicht bewegen zu können.
    Dann ertönt, leise, ganz leise, Klaviermusik. Danach eine Stimme, fast genauso leise.
    Hör gut zu!
    Die Klaviermusik bleibt. Er kennt das Stück, ist aber zu verwirrt, um es identifizieren zu können. Könnte nicht einmal das Wort identifizieren aussprechen, denkt er. Was passiert mit mir? Die Stimme wird etwas lauter. Eine Frau spricht, und es ist eine recht angenehme Altstimme, aber keine, die er kennt. Die Übelkeit tanzt in ihm. Sein Körper fühlt sich taub an.
    Hör gut zu. Du wirst jetzt mit geschlossenen Augen ganz still liegen und dir anhören, was ich zu sagen habe.
    Er schluckt und denkt, dass er offenbar und trotz allem wieder im Tunnel ist. Oder, wie gesagt, tot. Tot oder blind? Kann man blind sein, wenn man tot ist?
    Ich werde dir von den Schwestern erzählen, und alles, was ich behaupte, ist hypothetisch.
    Aha?
    Nichts anderes als hypothetisch. Nimm also einmal an, dass wir einige sind, die genug haben. Nimm an, dass ein Netzwerk existiert.
    Ein Netzwerk, denkt er. Ein Netzwerk?
    Vielleicht denkt er das aber auch gar nicht. Vielleicht wiederholt die Stimme es nur.
    Möglicherweise wiederholt sie alles, damit er es auch richtig versteht. Die breiige Wolke, die sich dort eingefunden hat, wo normalerweise sein Gehirn sitzt, hat es sicher nötig, dass man ihr auf die Sprünge hilft. Er würde gerne eine Hand in seinen Schädel stecken und sie hinauswerfen, kann sich aber nicht bewegen.
    Es existiert ein Netzwerk, und es trägt den Namen Die Schwestern. Es existiert seit vielen Jahren, und wir haben vielen helfen können. Gehe davon aus, dass wir etwa fünfzig sind und über das ganze Land verteilt leben.
    Ja, ja, ich komme mit, bestätigt die Wolke.
    Unsere Wurzeln liegen in Hinseberg, und wir sind Frauen, die es satthaben, von Männern misshandelt zu werden. Wir haben die Nase voll, und wenn die Gesellschaft tatenlos zuschaut, muss man die Sache eben selbst in die Hand nehmen.
    Aha?
    Das hätten die Frauen längst tun sollen. Es gibt Männer, die Frauen hassen, aber wir sind keine Frauen, die Männer hassen. Wir stoppen nur eine bestimmte Art von Männern. Nimm einmal an, dass wir das tatsächlich tun. Nimm an, dass wir es seit vielen Jahren tun. Nimm an, dass wir effektiver arbeiten, als sich das jemand vorstellen wollen würde. Nimm an, dass wir mittlerweile für das Ende ziemlich vieler Männer verantwortlich sind.
    Was sagt die denn da?, fragt sich die Wolke. Bin ich jetzt etwa in einem Film gelandet? Aber als er die Augen öffnet, ist es noch stockfinster. Ich bin blind und sitze in einem Kino, denkt die Wolke.
    Aber er sitzt in keinem Kino. Er sitzt nicht einmal. Er liegt flach auf dem Rücken und kann sich nicht bewegen, jedenfalls weder seine Arme noch die Beine. Du bist verrückt geworden, schlägt die Wolke vor.
    Du? Warum sagt die Wolke Du statt Ich?
    Nimm einmal an, dass dies eine Warnung ist , fährt die Stimme fort. Zahlreiche Männer sind in ähnlicher Form

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