Am Abend des Mordes - Roman
Dadurch wurde die Sache natürlich in ein furchtbar schlechtes Licht gerückt; sie hatte in Bezug auf den Samstagabend bereits ein wenig Reue und Unbehagen empfunden, betonte sie, geriet nun jedoch endgültig in Panik. Trotzdem gelang es ihr, so gefasst zu bleiben, dass sie niemandem von ihrem Abendessen mit dem Verstorbenen erzählte. Als sie ein wenig zum Nachdenken gekommen war, ungefähr am Dienstag und Mittwoch, beschloss sie zudem, bei ihrem stummen Kurs zu bleiben. Mit einem Schwedendemokraten in Verbindung gebracht zu werden, war schon schlimm genug, mit einem Schwedendemokraten in Verbindung gebracht zu werden, der unter mysteriösen Umständen das Zeitliche gesegnet hatte, war eine Katastrophe.
Ob sie – im Nachhinein – fand, dass sie richtig und korrekt gehandelt hatte?
Ja, nun ja, nein, vielleicht eher doch nicht.
Als diese taktvolle Vernehmung glücklich beendet und Sorgsen in sein Büro gegangen war, um sie zu protokollieren, versuchte Backman, Barbarotti zu erreichen. Vor allem, um sich die schwer verständliche SMS erklären zu lassen, die er ihr am Vorabend zu später Stunde geschickt hatte – aber sie erreichte ihn nicht.
Vermutlich sitzt er im Flugzeug, dachte sie.
Oder hockt hinter irgendeinem Berg und hat kein Netz.
Sie schickte ihm im Gegenzug eine aus drei Fragezeichen bestehende SMS und beschloss, seinem Wunsch erst nach dem Mittagessen nachzukommen.
Sie hatte die betreffende Firma gefunden; sie existierte nicht mehr, das hatte sie bereits ermittelt. Sie war Anfang der neunziger Jahre pleitegegangen, als so viele andere auch pleitegingen. Man konnte sich fragen, ob sich jemand auftreiben lassen würde, der etwas wusste.
Darüber hinaus stellte sich die Frage, warum er – überhaupt – fragte.
Um halb drei hatte sie immer noch keinen Pieps oder Buchstaben von Inspektor Barbarotti gehört oder gelesen, aber ein mögliches Objekt für eine Befragung gefunden.
Der Mann hieß Hans Fridolin Hansson, war ihren Informationen nach 84 Jahre alt und wohnte den gleichen Informationen zufolge im Altersheim Herbstsonne draußen bei den Mühlteichen. Sie sprach mit einer Stationsleiterin und erfuhr, dass Herr Hansson zwar phasenweise ein wenig dement war, aber auch seine klaren Momente hatte.
Sie dachte an ihren Vater, hatte auf einmal einen Kloß im Hals, schluckte ihn hinunter und erkundigte sich, ob es möglich sei, ihm in ungefähr einer Stunde einen Besuch abzustatten. Die Stationsleiterin erklärte, soweit sie sehe, stehe dem nichts entgegen. Hansson sei momentan zur Therapie, werde jedoch in zwanzig Minuten zurück sein.
Das Zimmer, in dem sie saßen, war hellblau, und sie fragte sich, wer – falls es jemand gewesen war – beschlossen hatte, dass diese bedauernswerten Menschen ihren Lebensabend umgeben von diesem grauenvollen Farbton verbringen müssen sollten. Aber vielleicht sollte er sie an die Farbe des Himmels erinnern und trug so womöglich dazu bei, den Prozess zu beschleunigen; freie Heimplätze waren Mangelware.
»Nennen Sie mich ruhig Hasse«, erklärte der hagere, schiefgewachsene Mann ihr gegenüber. »Oder Doppel-Hasse, wenn Sie wollen. Das mit dem Fridolin war die Idee meiner Mutter. Sie liebte den Dichter Karlfeldt und seine Figur Fridolin.«
Seine Stimme war heiser, fast röchelnd, er zitterte tüchtig, und sie fragte sich, ob er an Parkinson litt. Er sieht verlebt aus, dachte sie. Seine Haut erinnerte an rohen Dorsch; die Augen waren gelblich verfärbt und tränten, und die Haare auf dem knochigen Scheitel ließen einen an einen Kahlschlag oder ein schlampig abgeflämmtes Huhn denken.
Er ist wie Vater, dachte sie und schluckte zwei Mal, um sich gegen ein Gefühl zu wappnen, das in ihr aufwallte. Allerdings scheint er wenigstens ein bisschen klarer im Kopf zu sein als er.
»Dann sagen wir Hasse«, meinte sie. »Ich heiße Eva Backman. Nennen Sie mich Eva.«
Er strahlte.
»Eva? So hieß meine Frau.«
»Tatsächlich?«
»Ja. Aber sie ist tot. Das ist jetzt … ich erinnere mich nicht genau, wie viele Jahre es her ist. Es war jedenfalls um die Jahrtausendwende.«
»Zwölf Jahre«, klärte Backman ihn auf. »Dann ist es zwölf Jahre her.«
»Ja«, sagte Hasse Fridolin Hansson und strich sich mit einer knochigen Hand über Kinn und Wangen, »wenn Sie es sagen.«
»Sie sind ja jetzt schon eine ganze Weile Rentner«, tastete Backman sich vor. »Aber vorher hatten Sie eine eigene Firma.«
»Viele«, erwiderte Hansson. »Ich hatte sicher acht bis zehn Stück, als
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