Am Abend des Mordes - Roman
Rücken zu ihnen in der ersten Bankreihe sitzt, interessiert ihn nicht weiter. Denn so ist das eben mit fiktiven Kirchentableaus, denkt er. Trügerisch wie Wasser. Wie Träume.
Kommissar Asunander sitzt dort und lutscht wie früher an seinen Zähnen. Eva Backman und ihr übel beleumundeter früherer Mann sowie ihre drei Jungen, ebenso seine eigenen und Sara. Auch Mariannes Kinder, für die er das Sorgerecht hat, Marianne kann er dagegen, sosehr er auch Ausschau nach ihr hält, nirgendwo entdecken. Aber vielleicht liegt sie ja in dem Sarg, außerdem ist es ihm völlig schleierhaft, was jemand wie Axel Wallman auf ihrer Beerdigung zu suchen haben sollte. In dieser auffälligen Kleidung, die ein Zeichen für seinen Aufstieg zum Bestsellerautor und Literaturagent sein soll. Ein gelber Anzug auf einer Beerdigung. Umso grauer ist die traurige Gestalt, der er nie begegnet ist, aber dennoch einige Denkarbeit gewidmet hat und die halb zu schlafen scheint; der Mann hat kein Gesicht, trägt aber ein Schild mit seinem Namen auf der Brust, damit man dennoch begreift, wer er ist: Ante Valdemar Roos. Die junge Frau an seiner Seite erkennt er allerdings problemlos wieder, immerhin sind sie sich erst vor ein paar Tagen in der Hauptstadt begegnet, und gleiches gilt für die kraftstrotzende und bedrohliche Pensionswirtin, die ein schweres Gewehr quer im Arm hält, obwohl das natürlich auf nördlicheren Breitengraden zum Einsatz kam – und ihre Freundin, die so traurig aussieht und ihn irgendwie anzuflehen versucht, etwas zu tun, er weiß nicht, was. Sie scheint ihn nur dadurch anzuflehen, dass sie ihn mit ihrem eigenartig ruhigen Blick ansieht, weil es in einer Kirche nicht erlaubt ist, laut zu sprechen, erst recht nicht bei einer Beerdigung und erst recht nicht, wenn man rein zufällig eine Mörderin ist, die eine Leiche zerstückelt hat – es sei denn, natürlich, man ist Pfarrer, obwohl das Paar neben ihm es im selben Moment trotzdem tut, genauer gesagt jetzt: Die beiden unterhalten sich, und ob er nun will oder nicht, registriert er ihre ziemlich intime Konversation.
»Ulf, ich gehe jede Wette, dass bei mir was Kleines unterwegs ist. Beim nächsten Mal musst du wirklich bessere Kondome kaufen.«
»Ich begreife nicht, warum ich Kondome kaufen soll, wenn du was Kleines erwartest.«
»So habe ich das nicht gemeint.«
»Und wie hast du es gemeint?«
»Warum bist du so wütend auf mich?«
»Ich bin nicht wütend auf dich. Ich kann doch verdammt noch mal nichts dafür, dass es geplatzt ist.«
»Ach, nicht? Es ist ja wohl schon gar nicht meine Schuld, oder?«
»Bitte, Pyttan, keiner ist schuld. Shit happens, ohne dass es deine oder meine Schuld sein muss. Wie viele Tage bist du denn über die Zeit.«
»Ich bin noch keinen Tag über die Zeit. Am Samstag müsste ich meine Tage bekommen, es ist nur so ein Gefühl.«
»So ein Gefühl hast du schon dreißig Mal gehabt.«
»Das ist überhaupt nicht wahr.«
»Und ob das wahr ist. Wenn du jedes Mal schwanger gewesen wärst, als du es dir eingebildet hast, hätten wir mittlerweile eine ganze Schulklasse zu Hause.«
»Das kommt ja wohl nicht ganz hin, Ulf.«
»Hä? Was meinst du?«
»In einer Schulklasse sind doch alle gleich alt. Man kann beim besten Willen keine dreißig Kinder im selben Alter haben.«
»Halt’s Maul, Pyttan, jetzt kommt der Pfarrer.«
Aber es kommt kein Pfarrer. Stattdessen hat Arne Rönn, der Trauertherapeut, seinen Auftritt, und im selben Moment sind sie zudem ganz allein in der Kirche. Kein Pfarrer, kein Sarg, keine mit Trauernden gefüllten Bankreihen.
»Haben Sie gehört?«, fragt er und bezieht sich vermutlich auf das Paar mit dem geplatzten Kondom, aber Rönn schüttelt den Kopf. Er hat kein Wort gehört, und gleichzeitig erinnert sich Barbarotti, dass der Dialog, dem er gerade zu lauschen glaubte, in Wahrheit etwas war, was er vor vielen Jahren in einem Zug gehört und versehentlich auf seinem Tonbandgerät aufgenommen hatte, weil er auf einen falschen Knopf gedrückt hatte. Gleichzeitig überspielte er dadurch eine ziemlich wichtige Vernehmung, was eine Erinnerung ist, auf die er gerne verzichten kann.
Diese letzten Worte: Halt’s Maul, Pyttan, jetzt kommt der Pfarrer, klangen im Übrigen wenig authentisch. Es musste damals um einen Zugbegleiter gegangen sein und nicht um einen kirchlichen Würdenträger.
»Wie geht es Ihnen?«, erkundigt sich Rönn.
»Gar nicht mal so schlecht«, antwortet er. »Ich weiß nicht, wo ich bin.«
»Sprechen Sie
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