Am Abend des Mordes - Roman
oben in Nordschweden also einiges klarer geworden? Als du dich mit ihr getroffen hast?«
»Ja und nein«, antwortete Barbarotti und kratzte sich am Kopf. »Aber es ist schon interessant zu sehen, wie wichtig es tatsächlich ist, sich mit einem Menschen zusammenzusetzen und zu unterhalten. Ich meine, wir können uns natürlich jede Menge Informationen von allen möglichen Seiten besorgen, haufenweise Daten und der Teufel und seine Großmutter, aber wenn es darum geht einzuschätzen, was eine bestimmte Person getan oder nicht getan haben könnte, muss man näher an sie herankommen. Aber darüber reden wir ja schon seit zwanzig Jahren.«
»Stimmt«, pflichtete Backman ihm bei. »Du meinst Ellen Bjarnebo?«
»Ich meine Ellen Bjarnebo. Als ich sie endlich erwischt hatte, war es im Grunde kein Problem. Sie war gar nicht so widerspenstig, wie ich erwartet hatte. Ich habe ungefähr eineinhalb Stunden mit ihr gesprochen. Ich habe natürlich alles aufgenommen und mir unser Gespräch zwei Mal angehört. Und ich möchte also behaupten, dass … wie du so richtig sagst, manches klarer geworden ist.«
Eva Backman nickte neutral.
»Ich glaube, die Ermittlungen nach der Ermordung Harry Helgessons liefen ein bisschen zu glatt«, fuhr Barbarotti fort. »Man ging die ganze Zeit nach Schema F vor, was vielleicht nicht weiter verwunderlich war. Aber was damals auf diesen beiden Höfen passierte, war wohl … tja, es war wohl ein bisschen komplizierter, als es in den Augen der Polizei aussah. Es gab da Dinge und Beziehungen, die sie einfach nie näher untersucht haben.«
»Schlechte Arbeit?«
»Ja, leider.«
»Aber sie hat doch praktisch sofort gestanden«, bemerkte Backman. »Man fand ihre Fingerabdrücke auf der Mordwaffe, wenn ich mich nicht irre?«
»Stimmt genau. Und damit war die Sache erledigt. Wenn man einen Mord gesteht, hat man gute Chancen, dafür auch verurteilt zu werden. Vor allem, wenn man behauptet, einen nahestehenden Menschen erschlagen zu haben, und nichts in eine andere Richtung deutet.«
»So läuft das natürlich«, meinte Backman. »Das weißt du so gut wie ich, aber was willst du mir eigentlich sagen?«
»Dazu komme ich noch«, sagte Barbarotti. »Aber ich habe mir so meine Gedanken über diese Menschen auf den beiden Höfen gemacht. Mit Harry Helgessons Tod brach irgendwie alles zusammen, vielleicht nicht sofort, aber auf lange Sicht. Habe ich dir eigentlich erzählt, dass Ellen Bjarnebo ein Verhältnis mit dem Cousin auf Groß-Burma hatte?«
»Mit ihrem Cousin?«
»Nein, mit Göran Helgesson, er war Harrys Cousin. Es herrschte eine Art ›Der kleine Klaus und der große Klaus‹-Verhältnis zwischen den Cousins und den Höfen. Auf Groß-Burma gelang offenbar alles, was man anpackte, auf Klein-Burma ging von Anfang an fast alles schief. Ich glaube, für Ellen Bjarnebo war das Leben dort die Hölle, solange ihr Mann noch am Leben war … mehr oder weniger jedenfalls.«
»Hat sie ihn deshalb ermordet? Es hat meines Wissens jedenfalls nie jemand bezweifelt, dass sie ein Motiv hatte?«
»Vollkommen richtig«, antwortete Barbarotti. »Sie hatte wahrscheinlich ein mehr als triftiges Motiv. Das Problem ist nur, dass sie auch ein Motiv dafür gehabt hätte, den Mord auf sich zu nehmen, obwohl sie ihn in Wahrheit nicht begangen hatte.«
»Was?«, sagte Backman.
Barbarotti trank einen Schluck Kaffee.
»Du willst mir sagen, dass …?«
»Dass ein anderer es getan haben könnte und sie beschloss, statt des Täters ins Gefängnis zu gehen«, erläuterte Barbarotti.
»Ein anderer?«
»Ja.«
»Das hat sie da oben in den Bergen gesagt?«
Barbarotti schüttelte den Kopf. »Keineswegs. Außerdem glaube ich schon, dass sie ihren Mann zerlegt hat. Einer Störung der Totenruhe hat sie sich folglich auf jeden Fall schuldig gemacht.«
Eva Backman dachte eine Weile nach.
»Ich verstehe«, sagte sie dann. »Der Junge. Du meinst, der Junge hat seinen Vater erschlagen?«
Barbarotti nickte und verdrückte einen halben Keks. »Ja … und nein. So weit war ich ungefähr gekommen, nachdem ich mit allen geredet hatte. Mit Billy selbst und dieser nervösen Frau in Hallsberg, die seine Stiefmutter gewesen ist, aber insbesondere natürlich mit Ellen Bjarnebo. Und nachdem ich das Band abgehört hatte. Sie war … nun ja, ich weiß nicht recht, wie ich es sagen soll. Sie hatte etwas … Beeindruckendes an sich?«
»Beeindruckend?«, sagte Backman. »Weil sie die Tat ihres Sohnes auf sich nimmt … ja, ich verstehe, was du
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