Am Abend des Mordes - Roman
zutreffend geworden. Wahrhaftig nicht. Das Herz der Finsternis . Was war das? Ein Film, den sie nie gesehen hatte?
Aber zurück zu Lindgrens. Wenn sie ganz ehrlich sein sollte, gefiel es ihr in dem Eisenwarengeschäft nicht besonders. Aber der Job war erträglich, und mehr verlangte sie nicht. Mehr brauchte sie nicht, eine Atempause war trotz allem eine Atempause.
Sie ertrug sowohl die Kunden als auch ihre Arbeitskollegen: Mona, Gun und Torsten. Auch wenn sie mit keinem von ihnen besonders häufig sprach oder behaupten konnte, sie zu kennen. Oder dass ihre Kollegen sie kannten.
Und Lindgren selbst, der Chef mit den Händen, die sich gerne verirrten, tja, den hatte sie auch im Griff. Seine Verirrungen waren nichts Ernstes, er war glücklich verheiratet und hatte fünf Kinder, und schon in den ersten Tagen hatten ihre beiden Kolleginnen ihr erklärt, man solle nichts darauf geben, er meine es nicht so. Sofia, seine Frau, arbeitete im Übrigen auch im Geschäft. Ab und zu, an den Samstagvormittagen und so, wenn besonders viele Kunde kamen.
Natürlich war die Arbeit ihre Rettung, das hatte sie schon nach wenigen Wochen im Lebensmittelgeschäft begriffen, und so war es geblieben. Ihr Zuhause war das Übel. Das Moor, in dem sie langsam versank und ertränkt wurde. Ihr Zuhause und die Wochenenden. Als sie ihr plattes Rad in den Ständer stellte und die Einkaufstüten herunterhob, dachte sie, dass es haargenau so war. Ein Krebsmoor im Herz der Finsternis. Wo kamen nur all diese Bilder her? All die trostlosen Worte? Ihr schauderte, so war es; ihr schauderte angesichts eines ganzen, langen Freitagabends. Eines ganzen Samstags und eines ganzen Sonntags auf Klein-Burma.
Mit Harry und Billy. Nur sie drei. Nur die Familie.
Noch eins. Noch ein endlos langes Wochenende.
Und die Angst. Diese ständige, verfluchte, nagende Angst.
Wenn ich auf die Muti-Stimme gehört hätte, dachte sie. Wenn ich nicht aus dem Bus gestiegen wäre. Was wäre dann passiert? Fahr am Burmavägen vorbei ?
Sie entdeckte Harry, der mit einer Bierdose und einer frisch angezündeten Zigarette im Halbdunkel auf der Veranda saß.
»Wird auch Zeit, dass du kommst«, sagte er.
11
B arbarotti parkte vor dem Haus in der Fabriksgatan, in dem Alfons Söderberg wohnte, und stellte fest, dass er zehn Minuten zu früh war.
Er gähnte, öffnete den Sicherheitsgurt und kippte die Rückenlehne möglichst weit nach hinten.
Ich bin ein Roboter, dachte er. Ich sitze oder gehe oder liege. Rede, esse, versuche, zu schlafen und einfachere Tätigkeiten auszuführen. Ich arbeite. Ich bin Polizist. Gleich werde ich durch diese hässliche, leberwurstfarbene Haustür treten, zwei Treppen hochsteigen und an der Tür eines Mitmenschen namens Alfons Söderberg klingeln, in dessen Zweizimmerwohnung eventuell mehrere Spucknäpfe stehen, und der wie eine Bulldogge mit Asthma röchelt. Im Übrigen weiß ich gar nicht, ob es sich um eine Zweizimmerwohnung handelt, aber das spielt auch keine Rolle. Es gibt grundsätzlich nichts auf der Welt, was noch eine Rolle spielt, damit ist Schluss.
Ich werde an seinem Küchentisch Platz nehmen und Kaffee trinken und ihn über einen gewissen Arnold Morinder ausfragen, der vor fünf Jahren verschwand und mit dem Söderberg über den Daumen gepeilt fünfundzwanzig Jahre früher einen gewissen persönlichen Kontakt hatte, und bei diesem Gespräch wird nicht das Geringste herauskommen. Im Grunde bearbeite ich keinen Fall, diese ganze Sache ist nur eine Therapie, die sich Kommissar Asunander ausgedacht hat, um mich zu beschäftigen und damit ich nicht ständig daran denken muss, dass meine Frau gestorben ist und mich in diesem schwarzen Limbus zurückgelassen hat, wo ich … wo ich schon bald, an irgendeinem Tag, in irgendeiner Minute, zerbrechen werde. So ist es. Das Ganze ist vollkommen sinnlos, das Leben ist ein makaberer Witz, ich bin die verkörperte Melancholie, und Söderberg kann es genauso gut erspart bleiben, mich zu sehen. Er darf seinen Kaffee alleine trinken und diese miserablen Mandelplätzchen mümmeln, die er im Lebensmittelladen an der Ecke gekauft hat, und seine ekligen Zigaretten rauchen und ebenfalls einem vorzeitigen Tod entgegengehen. Er kann da oben herumsitzen und sich fragen, warum dieser seltsame Polizist nie auftauchte, aber nach reiflicher Überlegung wird er trotz allem zu dem Schluss kommen, lieber nicht im Polizeipräsidium von Kymlinge anzurufen und nachzufragen. Morinder ist schließlich spurlos verschwunden,
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