Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Abend des Mordes - Roman

Am Abend des Mordes - Roman

Titel: Am Abend des Mordes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
Vom Netzwerk:
letzten kannte, warum nicht? Jedenfalls war das alles vielschichtig und doppelbödig. Ein Wirrwarr aus Worten und menschlichen Bemühungen um etwas, das doch eigentlich einfach und klar sein sollte.
    Entweder man glaubt, oder man glaubt nicht.
    Ja, natürlich, hatte er wiederholt, als Rönn eine Zeitlang schweigend vor ihm gesessen hatte. Sie wird sich bei mir melden, da bin ich mir sicher.
    Man muss sich in Geduld üben, meinte Rönn daraufhin und hatte von dem Schriftsteller Torgny Lindgren und der Langsamkeit erzählt. Der Autor hatte geschrieben, man solle versuchen, im gleichen Tempo zu leben wie Bartflechten. Ein, zwei Millimeter pro Jahr wachsen. Wenn es hochkam.
    Und daraufhin hatten sie während der letzten halben Stunde tatsächlich über Dinge dieser Art gesprochen. Über Vertrauen und Zuversicht und unnötige Eile, und Barbarotti hatte gedacht, wenn er einen richtigen Vater statt eines weggelaufenen Italieners als Papa gehabt hätte, dann hätte dieser ruhig ein bisschen Ähnlichkeit mit Rönn haben dürfen. Oder wenigstens mit einem älteren Bruder von ihm, denn der Therapeut konnte kaum älter als sechzig sein.
    Zu welchem Schluss sie genau gekommen waren, ließ sich allerdings nicht leicht sagen und spielte vielleicht auch gar keine Rolle. Man musste nicht alles mit richtigen Worten festnageln, es gab auch wertvolle Erkenntnisse jenseits der Sprache. Barbarotti schob sich am Norra torg in den Wagen, tippte eine neue Fado-Platte in den CD -Spieler und fuhr Richtung Kymmens udde.
    Legte die Hand auf den Sitz neben sich und versuchte sich einzubilden, dass sie bei ihm war.
    Und während er so saß, hörte er endlich ihre Stimme.
    Ich habe dir geschrieben , sagte sie. Du bekommst den Brief in ein paar Tagen .
    Es schaffte es gerade so, haarscharf an einem Laternenpfahl vorbeizufahren.

10
    Der 2. Juni 1989
    Als sie aus dem Bus stieg, sah sie im selben Moment, dass ihr Fahrrad platt war. Es stand an das Wartehäuschen gelehnt, wie sie es am Morgen zurückgelassen hatte, und es bestand kein Zweifel.
    Das Hinterrad. Platt wie ein Pfannkuchen. Die Luft war höchstwahrscheinlich langsam entwichen, aber eine Pumpe hatte sie nicht dabei. Es gab mindestens zwei Stück auf dem Hof, aber das half ihr in diesem Augenblick natürlich auch nicht weiter. Ihr blieb nichts anderes übrig, als die Einkaufstüten an den Lenker zu hängen und zu Fuß zu gehen; sie fand es typisch, fast vorhersehbar, und für Verwunderung war in ihr kein Platz.
    Die Tüte mit den Flaschen aus dem Alkoholladen in den Korb auf dem Gepäckträger. Sechshundert Meter Kiesweg, sanft ansteigend, das war nicht weiter schlimm. Dünner Nieselregen trieb über die Felder heran, auch das war nicht weiter schlimm.
    Als Erstes kam Groß-Burma. Der Hof stand schön gelegen auf einer Anhöhe zu ihrer Linken; vom Hauptgebäude aus hatte man Aussicht auf die Felder und das weitgestreckte Tal, das von Süden nach Norden an der Landstraße beginnend und im Wald hinter Klein-Burma endend verlief. Ihrem Hof. Ihrem Zuhause.
    Klein-Burma lag weniger schön, hatte den Wald wie gesagt im Rücken, was eigentlich ganz gut war, aber die Anhöhe Groß-Burmas versperrte die Aussicht. Man lag sozusagen im Schatten. Das war ein Gedanke, der sich mehr oder weniger automatisch einstellte – die Sonnenseite und die Schattenseite –, das passte generell ganz ausgezeichnet zu der Beziehung zwischen den Höfen und den Cousins. Göran Helgesson war der einzige Sohn und Erbe von Groß-Burma; Harry Helgesson, sein vier Jahre jüngerer Cousin, war ebenfalls der einzige Sohn und in gleicher Weise Herr über Klein-Burma. Freie Bauern, sicher, trotzdem war es ein himmelschreiender Unterschied. Der kleine Klaus und der große Klaus, so hatte sie die Leute mehr als einmal über die beiden reden hören.
    Sie hätte zu Groß-Burma hinaufgehen und sich eine Pumpe leihen können, tat es aber nicht. Dadurch wäre sie auch nicht schneller nach Hause gekommen, und sie hatte keine Lust, Göran oder Ingvor zu begegnen. Angesichts ihrer Übereinkunft insbesondere Göran nicht. Es war unnötig, dunkle Flecken zu beleuchten. Besser, sie im Dunkeln und in Frieden zu lassen.
    Außerdem wollte sie den Kindern nicht begegnen. Sie waren so irritierend wohlgeraten, alle drei. Aus einem Guss und sauber und rosig. Sie beschränkte sich darauf, einen Blick den sorgsam geharkten Kiesweg hinauf zu werfen, zu den blühenden Kastanienbäumen und der Fliederlaube, und dachte daran, wie lange es her war, dass sie

Weitere Kostenlose Bücher