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Am Abend des Mordes - Roman

Am Abend des Mordes - Roman

Titel: Am Abend des Mordes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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diese schweren fünfzig Meter gegangen war. Aber so lagen die Dinge nun einmal: das ließ sich nur schlucken und akzeptieren. Wenn das Verhältnis der beiden Cousins zerrüttet war, galt dies auch für die Familien der Cousins. Für ihre Ehefrauen und Kinder.
    Man hätte behaupten können, dass es um Stolz ging, aber das war ein Wort, das Harry Helgesson nur ungern in den Mund nahm. Vielleicht, weil er wusste, dass es sich auf der Zungenspitze leicht auflöste und in etwas anderes verwandelte. Etwas Hässliches, was der Wahrheit näherkam.
    Neid oder so. Verbitterung.
    Bei diesen altvertrauten Gedanken zuckte sie mit den Schultern. Ging den kurzen Hang zwischen Scheune und Maschinenhalle hinab, warf einen Blick schräg zurück, zu der Baustelle hinter der Hecke, wo, soweit sie wusste, ein Pool entstand. Die Arbeiter waren noch aktiv, obwohl es fast sechs Uhr an einem Freitag war; das war ungewöhnlich. Zwei Wagen von Handwerksbetrieben parkten neben der Maschinenhalle, offenbar ging es um irgendein Detail, das nicht bis nach dem Wochenende warten konnte. Um etwas, das abgedeckt oder fertig isoliert werden musste, ehe man Feierabend machen konnte, wie man so sagte. Ja, Göran konnte gut mit Menschen umgehen, dachte sie. Wenn er wollte; es fiel ihm leicht, sie zu allem Möglichen zu überreden. Wie gesagt, und wenn man ehrlich war.
    Wenn man einmal nicht die Rolle als stolze, aber wehrlose Frau schulterte. Es gab ein zähes Knäuel aus menschlichen Bedürfnissen und Schwächen im Dasein, und in diesem Knäuel lebte sie, in ihm hing sie fest wie eine dämliche Schmeißfliege in einem starken und unerbittlichen Spinnennetz.
    Oder wie man die Sache auch betrachten wollte, wenn man vergaß, die Augen zu schließen.
    Nach der kurzen Strecke hügelabwärts ging es erneut aufwärts, und Klein-Burma tauchte in ihrem Blickfeld auf. Der Hof war wenig ansehnlich. Schien am Waldsaum zu kauern. Als schämte er sich für etwas; auch der Gedanke war nicht neu.
    Überhaupt waren neue Gedanken Mangelware. Es gab nur die alten, die immer wieder abgespult wurden, und für einige erschöpfte Sekunden war Ellen Helgessons Kopf vollkommen leer. Wie bei einem Stromausfall oder einem dieser ganz leichten Gehirnschläge, von denen sie gelesen hatte. Dann tauchte wie ein unerwarteter Brief in der Post ihr Sohn auf.
    Billy.
    Ihr Billy Boy. In zwei Wochen, passend zum Mittsommerfest, wurde er zwölf. Das war natürlich auch wie immer. Geboren am Höhepunkt des Jahres und trotzdem? Sobald sie an ihn dachte, krampfte sich ihre Brust irgendwie zusammen. Atemnot, oder was immer das sein mochte? Sie schluckte hart und verdrängte ihn.
    Sie sollte jetzt nicht auch noch über Billy nachgrübeln. Nicht zulassen, dass sich auch diese Sorge in sie bohrte. Die schlimmste Zutat des ganzen Knäuels.
    Nein, das nun doch nicht. So war es wirklich nicht.
    Sie ging weiter.
    Während sie die letzten zweihundert Meter zurücklegte, dachte sie über das Gegengewicht nach: ihre Arbeit in der Stadt. Die Atempause.
    Sie ging ihr inzwischen im fünften Jahr nach, denn bis Billy in die Schule ging, war sie zu Hause geblieben. Nicht, weil sie selbst es so gewollt hatte, sondern weil Harry es so wollte.
    Als Erstes hatte sie ein Jahr in einem Lebensmittelgeschäft in der Lilla Bergsgatan gearbeitet, danach in diesem Ledergeschäft und seit dem vorletzten Herbst bei Eisenwaren Lindgren an der Kasse. Fünf oder sechs Stunden täglich, vier Tage die Woche. Mittwochs hatte sie, meistens jedenfalls, frei.
    Morgens der Bus um Viertel vor acht, den auch Billy zur Schule nahm, das war praktisch. Um halb vier oder halb fünf mit dem Bus zurück.
    Das wäre niemals möglich gewesen, wenn sie noch Vieh gehabt hätten, aber Harry hatte die Krise fünf Jahre zuvor zum Anlass genommen, den gesamten Bestand zu verkaufen. Heute wurden nur noch auf Groß-Burma Tiere gehalten: Kühe und Schafe. Sowie zwei Pferde für Ingvor und die Mädchen. Und ein paar Dutzend Hühner natürlich. Klein-Burma verlegte sich auf Getreide. Verschiedene Kornsorten, aber vor allem traditioneller Weizen. Es war, wie es war, der leicht schiefe Stall am Waldrand zu ihrer Rechten war zweifellos das Gebäude, das sich vor dem peitschenden Regen am stärksten zusammenkauerte. Er hatte seine Berechtigung verloren. Wenn Klein-Burma eine Krebserkrankung war, dann war dieser Stall der ursprüngliche Tumor, so lautete eine Beschreibung, die ihr zwei Jahre zuvor in den Sinn gekommen war, und seither war sie nicht weniger

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