Am Abend des Mordes - Roman
nicht besonders schwierig, an dieser Geschichte festzuhalten, vor allem dann nicht, wenn sie der Wahrheit entsprach. Barbarotti verließ das Seeufer und stiefelte zum Auto zurück. Grübelte einmal mehr darüber nach, warum um Himmels willen Asunander ihn beauftragt hatte, sich diesen Fall anzusehen, und kam wieder zur selben Antwort: Beschäftigungstherapie. Etwas, was ihn auf Trab hielt, ohne dass er großen Schaden anrichten konnte.
Oder war da doch etwas anderes? Noch etwas mehr? Asunander war ein alter Fuchs, der in Kürze in Pension gehen sollte, und seine Unergründlichkeit hatte mit den Jahren nicht abgenommen. Jedenfalls wurde es Zeit, in der nächsten Woche das Gespräch mit ihm zu suchen. Ihn zu fragen, was zum Teufel der Sinn dieser Ermittlung war, und zu hoffen, darauf eine halbwegs ehrliche Antwort zu erhalten. Um anschließend erklären zu können, dass er bereit war, richtige Ermittlungsarbeit zu übernehmen.
War er das?
Oder ging es um den Fall Burma? Interessierte sich der Kommissar in Wahrheit dafür?
Barbarotti hatte auch diese Ermittlungsakten auf seinem Schreibtisch, sich aber noch nicht eingehend mit ihnen beschäftigt. Das Material war nicht so umfangreich, wie man möglicherweise erwartet hätte – aber Ellen Helgesson-Bjarnebo hatte ja auch umgehend gestanden, weshalb keine umfassende Polizeiarbeit erforderlich gewesen war.
Und der Prozess war dann eine reine Formsache gewesen, auch wenn ihr Anwalt zu ihrem Wohle den einen oder anderen mildernden Umstand angeführt hatte.
Das war alles, stellte Barbarotti fest und blickte ein letztes Mal auf die finstere Bretterbude zurück. Du siehst wirklich traurig aus, dachte er. Irgendwer sollte dich abfackeln.
Es war halb zwei, als er wieder auf der 272 war; er erkannte, dass es Freitagnachmittag war und ihn ein langes Wochenende mit den Kindern erwartete. Eine Familie ohne Mutter. Eine kleine Schar von Menschen, die ihren Anker verloren hatte. Der Hang, in Tränen auszubrechen, kehrte zurück und drohte, wie eine nasse Decke auf ihn herabzufallen, und wahrscheinlich beschloss er deshalb, um dieser bodenlosen Verzweiflung etwas entgegenzusetzen, am Präsidium vorbeizufahren und sich die Akten zum Fall Burma zu besorgen. Das konnte zumindest nicht schaden.
Trauerarbeit? Das war es sicher nicht, was mit dem Wort gemeint war – zu arbeiten, statt zu trauern –, aber alles war willkommen, was den Blick von seiner Qual abwenden konnte.
Roboterleben.
Und als er innerlich dieses unheilvolle Wort formulierte, kam er an einer anderen Abzweigung zum See vorbei. Auf dem Hinweg hatte er nicht daran gedacht – aus irgendeinem seltsamen Grund, denn es hätte ihm eigentlich in den Sinn kommen müssen –, aber nun tat er es.
Axel Wallman.
Sein alter, wirrköpfiger Schulkamerad aus dem Gymnasium. Steppenwolf, Sprachgenie, Hundebesitzer und was noch alles. Der Hund hieß Saarikoski, benannt nach dem finnischen Dichter und Weltenbummler, und das Paar wohnte, seit Wallman auf den akademischen Müllhaufen geworfen und in den Vorruhestand versetzt worden war, in einem anderen Häuschen im Wald am nördlichen Ufer des Kymmens. Zumindest als Barbarotti ihn das letzte Mal besucht hatte; als er nachdachte, wurde ihm klar, dass auch in diesem Fall fünf Jahre vergangen waren, mit anderen Worten ging es um denselben Sommer, 2007, und man konnte sich natürlich fragen, warum er Wallman so vollständig aus seinen Gedanken verbannt hatte. Dass Wallman seinerseits Kontakt zu ihm aufnehmen würde, war völlig undenkbar.
Aber da dies auch der erste Sommer mit Marianne gewesen war, gab es dafür vielleicht eine Erklärung und Entschuldigung. Es war viel passiert. Menschen tauchen auf und verschwinden.
Verschwinden? Was war denn das für ein egozentrisches Gelaber? Er bremste und bog auf einen Parkplatz. Wendete und fuhr zurück. Nahm die holperige Straße zu Wallmans Nest, die mehr oder weniger eine Kopie des Wegs war, den er genommen hatte, um zu Morinders Fischerhütte zu gelangen.
Der Weg war eine Kopie. Wallmans Haus dagegen sah erfreulicherweise ein wenig anständiger aus. Wenn auch nicht sehr viel, wie Barbarotti zugeben musste, als er aus dem Wagen stieg. Ein bisschen größer zwar, aber zugewachsen und verfallen und ohne Anzeichen menschlichen Lebens.
Axel Wallman verfügte immerhin über einen Briefkasten. Ein hellgraues Blechding, das schief an einem Pfosten hing, von einem Seil umwickelt und mit einer in Plastikfolie eingeschlagenen Mitteilung in
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