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Am Abend des Mordes - Roman

Am Abend des Mordes - Roman

Titel: Am Abend des Mordes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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ihre beste Freundin gewesen war, es nicht über sich brachte, wie konnte man dann erwarten, dass ihre Kinder und Barbarotti es schafften? Es zu begreifen und irgendwie nach vorn zu schauen.
    Obwohl Barbarotti gläubig war.
    Jedenfalls behauptete er das, aber sie hatten niemals ernsthaft darüber gesprochen.
    Worüber haben wir uns eigentlich überhaupt ernsthaft unterhalten, überlegte Eva Backman und trank einen Schluck Tee. Wir, die wir uns nach zwanzig Jahren im selben Irrenhaus so gut kennen.
    Das war eine sowohl gute als auch unangenehme Frage. Gut, weil sie gestellt werden musste, unangenehm, wenn man die mögliche Antwort bedachte.
    Dass wir uns nie ernsthaft unterhalten haben oder wie, dachte sie. Was meine ich eigentlich damit? Wenn ich mich mit Barbarotti niemals ernsthaft unterhalten habe, mit wem dann?
    Ville, mit dem sie einundzwanzig Jahre verheiratet gewesen war? Angesichts der verheerenden Bilanz und der momentanen Situation wohl kaum. Was waren all ihre hehren Worte wert gewesen? Perlen vor die Säue und Predigten vor tauben Ohren? Und anders herum: Ein Mann, der sich für eine Frau wie Blanche entschied, hatte es schlichtweg nicht verdient, ernstgenommen zu werden.
    Die Kinder? Bei ihnen standen die Dinge hoffentlich besser, das würde sich im Laufe der Zeit erweisen, und es war deren Entscheidung.
    Marianne? Doch, das ließ sich nun wirklich nicht leugnen. Sie hatten über Dinge gesprochen, über die man sprechen sollte. Über das Leben, den Tod und die Liebe. Über Beweggründe und Selbsterkenntnis. Über männliche Dummheit, über weibliche Dummheit und über Schlacke in der Seele.
    Aber Marianne lebte nicht mehr, so war die Wirklichkeit inzwischen konstruiert, und weil Eva Backman plötzlich einsah, dass sie genauso schlecht gerüstet war für diese Welt wie alle anderen, begann sie zu weinen.
    Wir trauern nicht um die Toten, dachte sie, sondern um uns selbst.
    Nicht um den Tod. Um das Leben.
    Zwei Stunden später blühten Flieder und Kastanie immer noch. Sie hatte sich übers Wochenende einige Unterlagen zum Lesen mitgenommen – vor allem die Angelegenheit Fängström, bei der man weiter auf der Stelle trat. Trotz umfassender Bemühungen war es ihnen nicht einmal gelungen, die Person ausfindig zu machen, die den Schwedendemokraten an dem betreffenden Abend besucht hatte, und die Berichterstattung in den Medien bekam allmählich einen vertrauten, höhnischen Ton.
    Aber es ist doch erst Samstag, dachte Eva Backman, ich habe keine Lust, mich heute darauf zu konzentrieren. Der Sonntag würde mit Sicherheit regnerisch und damit arbeitsfreundlich werden; sie schob die Ermittlungsakten fort und entschied sich für einen langen Spaziergang.
    Und das, obwohl sie bereits acht Kilometer gelaufen war, aber vielleicht war dieses Blanche-Adrenalin ja noch irgendwie aktiv in ihr. Vielleicht waren es aber auch ihre Gedanken an Marianne und Barbarotti und alles Mögliche andere, die zu viel Stillsitzen nicht duldeten.
    Oder lag es daran, dass die Welt immer noch nicht viel älter als siebzehn war und auf ihre Aufmerksamkeit pochte?
    Anfangs schien das Ziel noch unklar, aber als sie eine Weile am Fluss entlanggegangen war, wurde ihr bewusst, dass sie auf dem Weg zum Friedhof war. Das Grab ihrer Eltern und Mariannes letzte Ruhestätte lagen nur hundert Meter auseinander; wenn es schon so aussah, wie es nun einmal aussah, konnte sie an einem Tag wie diesem ebenso gut beiden einen Besuch abstatten.
    Sie begann mit ihren Eltern, tauschte Blumen aus, goss das Grab und füllte einen Eimer mit herumliegendem Müll, und als sie auf dem Weg zum neueren Teil des Friedhofs war, fiel ihr Barbarotti ins Auge.
    Natürlich. Wie sollte er auch sonst einen freien Samstagnachmittag verbringen, wenn nicht damit, seine geliebte Frau zu besuchen?
    Ein wenig Abstand haltend blieb sie stehen und betrachtete ihn. Er kehrte ihr den Rücken zu, stand dem Grab zugewandt, auf dem noch kein Stein, nur das provisorische Holzkreuz platziert war. Er hatte die Schultern hochgezogen, als fröre er im Sonnenschein; den Kopf hielt er in einer regungslosen Pose gesenkt, vielleicht betete er. Vielleicht versuchte er, irgendwie Kontakt zu bekommen. Backman dachte, dass es aussah wie ein Bild, das alte Ölgemälde eines Künstlers aus dem frühen 20. Jahrhundert: Am Grab .
    Eine halbe Minute verstrich, dann drehte er sich um und entdeckte sie. Sie hob grüßend die Hand und ging zu ihm.
    »Entschuldige, ich wollte dich nicht stören.«
    Er

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