Am Abend des Mordes - Roman
Druckbuchstaben auf dem Deckel.
Arne! Ich bin eine Weile verreist. Sei so gut und lagere meine Post, bis ich mich melde. In fidem. AW
Arne? Das musste der Briefträger sein. Einer dieser richtigen Landbriefträger, zu dem sich wahrscheinlich ein vertrauensvolles Verhältnis aufbauen ließ. Der die berühmt-berüchtigte Vorschriftenhuberei der Post, falls erforderlich, ein wenig umgehen konnte. Barbarotti wollte schon wieder unverrichteter Dinge – was immer diese hätten sein können − ins Auto steigen, als sein Blick auf das kleine Namensschild auf dem Briefkasten fiel:
Wallman-Braun
Braun?
Was hatte das jetzt zu bedeuten? Konnte …?
Barbarotti schüttelte den Kopf und merkte, dass innerlich ein Lächeln vorbeihuschte. Konnte Wallman tatsächlich etwas mit einer Frau angefangen haben? Das erschien ihm mit Verlaub absurd. Als sie sich das letzte Mal gesehen hatten, war ihm von Wallman versichert worden, dass er immer noch jungfräulich war wie ein Himmelskörper, ein Solitär, und dass die Frau ein Mysterium blieb und er vor langer Zeit die Hoffnung aufgegeben hatte, dieses zu entschlüsseln. Seine allgemeine Erscheinung, seine polternde, eigensinnige Genialität, seine Angewohnheit, lange, schwer verständliche Gedichte in eigener Übersetzung oder auf Altbulgarisch zu rezitieren, sowie die Tatsache, dass seine Umgebung vor Schmutz stand, mussten doch … mussten doch unüberwindbare Hindernisse für alle Formen einer Paarbeziehung bilden, dachte Barbarotti und ließ den Wagen an. Wallman sprach zwar fließend einundzwanzig Sprachen, war aber dennoch ein durchgedrehter Eigenbrötler.
Aber Braun? Die Frage blieb für den Rest dieses Freitags in einem verborgenen Winkel seines Bewusstseins bestehen. Während er das Burma-Material aus dem Präsidium holte, während des mitfühlenden und tastenden Gesprächs mit seinen Kindern am Abend – und als er nach Mitternacht einsam und schlaflos in dem großen Bett lag, in dem ihm vor fast einem Monat der Tod seine Frau genommen hatte.
Wallman-Braun? Ein Mysterium.
13
A m Samstagmorgen erwachte Eva Backman gegen halb acht aus einem sehr unangenehmen Traum, in dem sie sich lautstark mit ihrem Exmann gestritten hatte, was damit endete, dass sie einander aufforderten, zur Hölle zu fahren.
Als sie sich den Schlaf aus den Augen gerieben hatte und ins Badezimmer gekommen war, erkannte sie, dass dies kein Traum gewesen, sondern wirklich passiert war. Sie hatten sich am Vorabend tatsächlich am Telefon angeschrien; genauer gesagt, kurz bevor sie ins Bett gegangen war, und sie hatte zumindest ihn gebeten, sich an einen heißeren Ort zu begeben. Ob er sich ihr gegenüber ähnlich geäußert hatte, wusste sie nicht mehr genau, aber falls er sich zurückgehalten haben sollte, lag das ausschließlich an seiner feigen Erziehung und seiner neuen Frau.
Sie hieß Blanche – allein schon dieser Name – und war das käuflichste und falscheste Faktotum, dem Eva Backman jemals begegnet war. Außerdem so geizig wie ein Abkömmling einer Schottin und eines Småländers.
Es war mal wieder um das Haus gegangen, das Haus im Stadtteil Haga, in dem sie mit Ville und ihren drei Söhnen fast zwanzig Jahre lang gewohnt hatte – und in dem Ville mittlerweile zusammen mit seiner Blanche und Kalle lebte, dem einzigen noch nicht von zu Hause ausgezogenen Sohn. Sowie Blanches Tochter, einem verschüchterten, kleinen Mädchen von neun Jahren namens Ellinor.
Genau genommen war es um Geld und angebliche Verpflichtungen gegangen. Vor einem halben Jahr hatte sich Eva Backman ihren Anteil an der Immobilie auszahlen lassen, die Ville und sie Ende der achtziger Jahre zu gleichen Teilen erworben hatten. Zumindest hatte sie geglaubt, nichts mehr mit dem Haus zu tun zu haben, bis Blanche anfing, herumzuspinnen und versteckte Mängel zu finden, die Renovierungsmaßnahmen erforderlich machten, Fußböden, die aufgebrochen werden mussten, ein Belüftungssystem, das von Rost befallen war, und der Teufel und seine Großmutter – Mängel, für deren Beseitigung berechtigterweise die beiden früheren Eheleute aufkommen müssten, hatte Blanche in den besten Absichten verkündet, und ohne im Mindesten wütend oder echauffiert zu klingen –, da diese Mängel aufgetreten waren, als die früheren Eheleute den Kasten noch gemeinsam besaßen. So war es nun einmal, und jetzt wollte man Eva natürlich keinen Ärger machen oder irgendwie einen Konflikt heraufbeschwören, aber was Recht war, musste schließlich Recht
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