Am Abend des Mordes - Roman
bleiben und sie waren doch alle erwachsene Menschen, nicht wahr? Hundertfünfzigtausend dürften reichen, und im Moment war es ja nicht besonders schwierig, einen Kredit zu bekommen. Nicht wahr, deshalb werden wir uns doch wohl nicht streiten?
Und Ähnliches in dieser Art. Das Schlimmste war, dass Blanche eine derart manipulative Schleimerin war. Eine dieser weltgewandten, freundlichen und wortgewaltigen Gänse, die an eine Mamba mit Sonnenschutzfaktor erinnerten. Und dass Ville so verdammt bescheuert war, auf diese Masche hereinzufallen.
Hinzu kam, dass sie bei den Kindern, zumindest bei Kalle, Stimmung gegen seine Mutter machte. Während sich Eva Backman die Zähne so fest putzte, dass ihr Zahnfleisch blutete, spürte sie, wie sie innerlich kochte. Mal wieder. Warum zum Teufel hatte Ville nur so eine Schabracke geheiratet? In gewisser Weise warf dies auch einen Schatten auf sie selbst, was eine unangenehme, aber treffende Schlussfolgerung war. Wenn er nun also beschlossen hatte, eine Idiotin zu heiraten, musste seine frühere Frau dann nicht auch eine Idiotin gewesen sein? Oder ging es etwa nur darum, dass Blanche elf Jahre jünger war als sie, früher Tänzerin gewesen war und frisch geliftete Titten hatte? Dann war nur Ville ein Idiot, aber der Gedanke half ihr trotzdem nicht besonders, ihre finstere Stimmung aufzuhellen.
Und wie ging es mit Kalle weiter? Was war, wenn er Blanches Partei ergriff? Nur weil er es seinem Vater recht machen wollte. Welche Gespräche wurden an einem Morgen wie diesem am Frühstückstisch geführt? Ging es darum, dass seine alte Mama versuchte, seinen Papa und seine neue Mama um Geld zu betrügen? Verpackt in jede Menge heimtückisches psychologisches Geschwafel, das für einen Achtzehnjährigen nicht immer so leicht zu durchschauen war?
Ich darf nicht mehr daran denken, entschied Eva Backman. Am Montag rufe ich einen Anwalt an.
Nach diesem Entschluss zog sie sich einen Trainingsanzug über und ging laufen. Normalerweise brauchte sie vorher ein leichtes Frühstück, aber war Adrenalin nicht ein ebenso guter Treibstoff?
Um zwölf war sie laufen gewesen, hatte geduscht und ein sehr kurzes Gespräch mit ihrem Exmann geführt, in dem sie ihm mitgeteilt hatte, dass dieses dumme Gewäsch von nun an über einen Anwalt gehen würde. Zufrieden mit dieser eindeutigen Aussage – und damit, nicht an den Apparat gegangen zu sein, als er sie zurückrief –, stellte sie auf einem Tablett ein üppiges Frühstück zusammen, nahm die Zeitungen mit, ging auf ihren Balkon hinaus und setzte sich unter den Sonnenschirm.
Kein Zweifel, es war fast Sommer. Der Kastanienbaum auf dem Hof schlug aus, der Flieder stand in voller Blüte, überhaupt kam es ihr vor, als wäre die ganze Welt ungefähr siebzehn Jahre alt.
Sie selbst war neunundvierzig, und als sich diese ziemlich unliebsame Erkenntnis in ihr Bewusstsein mogelte, schob sie die Zeitungen von sich und dachte an Marianne, die nur siebenundvierzig geworden war.
Und an ihren Mann, der zwar einundfünfzig war, weder mehr noch weniger, aber auch mindestens mit einem Bein im Grab zu stehen schien.
Was ist nur mit uns Menschen los, fragte sich Eva Backman. Wir scheinen für diese Welt einfach nicht gerüstet zu sein. Wir gehen ständig unter, damit verbringen wir unser Leben.
Unterzugehen, uns zu zerstreiten und einander falsch zu verstehen.
Dann sterben wir.
Zu früh oder zu spät.
Mariannes Beerdigung war nicht die einzige, auf der sie in diesem Jahr gewesen war, obwohl nicht einmal die Hälfte davon vorbei war. Im Januar hatte Eva Backmans Vater endlich das Ende seiner Tage erleben dürfen, und man konnte sich wirklich fragen, wozu seine zwei, drei letzten Jahre gut gewesen sein sollten. Bis zum Herbst 2009 hatte er bei Evas Bruder und ihrer Schwägerin auf deren Hof nahe Kymlinge gelebt, aber eines Tages ging es so einfach nicht mehr weiter. Seine Alzheimer-Erkrankung hatte sich rapide verschlimmert, so dass man ihn in der Herta-Klinik draußen in Valbo untergebracht hatte, und bei keinem einzigen der zahlreichen Besuche, die sie ihm dort abstattete, hatte er sich erinnert, wer sie war.
Folglich war er zu spät gestorben. In allen wesentlichen Aspekten war Rune Backman bereits lange vor seinem Ableben tot gewesen.
Bei Marianne war es natürlich genau umgekehrt gewesen. Zu früh. Sie war tot und begraben, aber das ließ sich irgendwie nicht zugeben. Nicht zugeben, nicht fassen, nicht akzeptieren.
Und wenn sie, Eva Backman, die höchstens
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