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Am Abend des Mordes - Roman

Am Abend des Mordes - Roman

Titel: Am Abend des Mordes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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begriff –, entsann sich des Geräuschs so gut, als hätte sich das Ganze gerade erst ereignet und nicht sechs Monate zuvor.
    Die Stille. Nur das Ticken der Küchenuhr und das Klirren der Löffel. Ihre eigenen Bewegungen mit dem Schäler. Ja, es kam ihr vor wie gestern.
    »Wir könnten das auch anders regeln.«
    »Was?«
    »Du und ich könnten das regeln.«
    Sie hörte auf zu schälen. Seine Stimme verplapperte sich, ehe er die eigentlichen Worte herausbrachte. Sie war belegt und furchtsam zugleich. Fürchtete sich vor ihrer eigenen Dreistigkeit.
    »Du bist eine schöne Frau, Ellen.«
    Die Uhr tickte. Er räusperte sich, um sich Mut zu machen. Die Löffel verstummten.
    »Es ist wirklich blöd, wenn man kurz vor Weihnachten Geldsorgen hat.«
    Sie legte den Kartoffelschäler auf die Spüle. Drehte sich langsam zu ihm um und trocknete sich die Hände an der Schürze ab.
    »Es ist blöd, wenn …«
    Er verstummte. Für einen kurzen Moment wägte sie innerlich ab, auch an diesen Augenblick erinnerte sie sich viel später noch mit ungeheurer Deutlichkeit. Dass sie ihn ebenso gut hätte bitten können, sich zum Teufel zu scheren. Dass es ihr fast auf der Zunge gelegen hatte; aber als sie seinen beschämten Blick sah, seine ohnmächtige Geilheit, entschied sie sich für die andere Lösung.
    Gab nach.
    Einfach so.
    Hatte es sich tatsächlich so abgespielt? Trotz des extrem scharfen Erinnerungsbilds an das verkrampfte Gespräch in der Küche, fiel es ihr im Nachhinein schwer, an diese … diese Leichtfertigkeit des Ganzen zu glauben. Bei diesem ersten Mal hatte sie sich nicht einmal ausziehen müssen. Hatte lediglich den Slip abgestreift und den Rock gehoben. Sie hatten es in der Waschküche gemacht, innerhalb von fünf Minuten war es vorbei gewesen.
    Danach hatte es bis zum Januar gedauert. Die gleiche unbeholfene Unterhaltung, die gleiche Anspielung darauf, wie viel Geld sie ihm schuldeten, aber diesmal im Schlafzimmer. Im Großen und Ganzen nackt und fast eine Viertelstunde lang.
    Sie sprachen nie darüber, auch währenddessen nicht. Es war wie eine stillschweigende Übereinkunft; es bedurfte keiner Worte, wofür sie dankbar war. Sie dachte oft, dass sie vögelten wie stumme Tiere. Einmal, Mitte März, hatte sie fast so etwas wie Erregung empfunden, als er zugange war.
    Aber nur dieses eine Mal. Es war nicht wieder vorgekommen. Er war der Einzige, der kam, und wiederkam.
    Und wenn sie es genossen hätte, was wäre es dann für eine Übereinkunft gewesen?
    Sie stand am Fenster und sah ihn nach Groß-Burma zurückmarschieren. Das mit den Tieren kam ihr wieder in den Sinn. Was war Göran wohl für ein Tier? Die Hyäne, das Schwein, die Maus und …? Dass Ingvor eine Kuh war, stand schon lange für sie fest, eher Milch- als Fleischkuh, aber dieser Mann war schwerer zu bestimmen. Obwohl er tat, was er tat, war er definitiv kein Stier. Es gab auch keine andere Assoziation, die zwanglos an ihm haften blieb, er hatte zu vage Konturen. Sein Charakter war irgendwie verschwommen. Obwohl sie mittlerweile fast alles von ihm gesehen hatte, fiel es ihr schwer, ihn sich nackt vorzustellen. Er war immer gepflegt gekleidet, auch werktags – obwohl man weit draußen auf dem Land wohnte und die Arbeit mit den Tieren und auf den Feldern fast immer dazu führte, dass man sich schmutzig machte. Und wenn es einen gemeinsamen Nenner für Tiere aller Art gab, dann bestand er sicherlich darin, dass sie keine Kleider trugen.
    Also nur ein Mensch, dachte sie und sah ihn hinter der Fichtenhecke verschwinden. Nicht mehr als das, denn in seinem Fall bedeutete dies auf jeden Fall eine Verkleinerung. Er nahm den Weg nach Osten, über die Felder, so hielt er es immer; auf die Art kam er aus einer anderen Richtung nach Hause. Wenn jemand – die Kuh oder die Kinder (die Kälber?) – wissen wollte, wo er in der letzten Stunde gewesen war, würde er antworten können, er sei auf seinem Land unterwegs gewesen. Habe nach einem Zaun gesehen, nach einem Schaf gesucht, oder was auch immer gemacht. Zu sagen, dass er auf Klein-Burma gewesen und sich mit Harrys Ellen getroffen hatte, kam natürlich nicht in Frage. Dass sie eine Weile gevögelt hatten, wie sie das von Zeit zu Zeit so machten. Denn was dann auf Groß-Burma passieren würde, war schwer zu sagen.
    Manchmal dachte sie, dass sie ihn in der Hand hatte. Was immer im Leben geschah, wie schlimm es auch kommen mochte, sie würde sich zumindest eines Tages an die andere Seite des Tisches in der blankpolierten,

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