Am Abend des Mordes - Roman
kupferüberbordenden Küche des Nachbarhofs setzen können, um ihre Augen auf die frigide Ingvor zu richten und ihr mitzuteilen, dass ihr feiner Großbauer sich jedenfalls nicht zu fein dafür war, um zum kläglichen Klein-Burma hinunterzutrotten und es seiner erbärmlichen Nachbarsfrau zu besorgen.
Weil er es mit der feinen Dame nicht mehr treiben durfte. Wie man so hörte.
Doch, das hätte vielleicht eine Art Rache sein können. Zweifellos von kurzer Dauer und freudlos, und es bestand auch keine Veranlassung, sich vorzustellen, wie die Sache sich anschließend für sie entwickeln würde. Sowohl, wenn man bedachte, zu was Harry im alltäglichen Leben, wenn alles lief wie immer, fähig war, als auch wenn man anderes bedachte.
Sie ging duschen. Ließ das Wasser wie eine unverdiente Gnade über ihren müden Körper strömen. Der Samen von zwei Cousins lief aus ihr heraus.
Danach ging sie endlich zu dem Jungen hinein. Es war Viertel vor zwölf. Ihr war immer noch schlecht.
20
D ienstag und Mittwoch versuchte Gunnar Barbarotti vergeblich, Kontakt zu Ellen Bjarnebo zu bekommen. Er rief einmal stündlich ihr Handy an und wählte in ähnlichen Intervallen die Nummer ihres Festnetzanschlusses in Rocksta; sie meldete sich unter keiner der beiden Nummern, und er konnte keine Nachrichten hinterlassen. Er schickte zwei weitere SMS, die jedoch beide ebenso unbeantwortet blieben wie die Mitteilung, die er ihr in der Vorwoche geschickt hatte.
Darüber hinaus stattete er der Valdemar Kuskos gata einen Besuch ab, aber dort sprach nichts dafür, dass die frühere Leichenzerlegerin aus ihrer nordschwedischen Pension zurückgekehrt war. Er sprach mit zwei Nachbarn, die sie schon seit Wochen nicht mehr zu Gesicht bekommen hatten. Aber nein, sie waren keine Bekannten, aber ja, sie wussten, wer sie war. Das wussten alle in der Nachbarschaft.
Am Mittwochvormittag ermittelte er die betreffende Pension in der Gegend von Vilhelmina, und am Nachmittag rief er dort an. Es stellte sich heraus, dass Ragnhilds Gebirgspension nach der Mutter der jetzigen Besitzerin benannt war. Die Besitzerin selbst hieß Mona Frisk und erzählte zum einen, dass ihr Etablissement sich großer Beliebtheit erfreute und mehr als sechzig Jahre auf dem Buckel hatte, zum anderen, dass einer der Gäste tatsächlich Ellen Bjarnebo hieß und in den letzten zwei Wochen in Zimmer Nummer zwölf gewohnt hatte – am Sonntagvormittag jedoch wie geplant abgereist war.
Abgereist?, hatte Barbarotti nachgehakt.
Am Busbahnhof im Ort den Bus genommen, hatte Mona Frisk erläutert. Bis Lycksele und Umeå, dann mit dem Zug nach Süden. Wenn sie sich nicht täuschte. Vom Flughafen Vilhelmina aus konnte man natürlich auch fliegen. Bis zum Stockholmer Flughafen Arlanda dauerte es eine Stunde, ruckzuck, aber Bjarnebo flog nicht gern. Wenn sie sich nicht täuschte. Warum rief er an?
Barbarotti hatte es vermieden, darauf zu antworten. Hatte sich bedankt, aufgelegt und war eine ganze Weile in Gedanken versunken sitzen geblieben.
Ab Umeå mit dem Zug? Wie sah das heutzutage eigentlich mit dem Eisenbahnverkehr aus? Die Schienen wurden von verschiedenen Anbietern bevölkert, und es war nicht mehr wie früher, als die Staatsbahn ein Monopol hatte, aber spielte das eine Rolle? Wenn man seine Reise an einem Sonntagabend in Umeå antrat, sollte man innerhalb von vierundzwanzig Stunden auf jeden Fall in Kymlinge ankommen.
Spätestens aber am Dienstagmorgen. Heute war Mittwoch. Es war halb drei. Er versuchte es noch einmal. Keiner ging ans Handy, keiner an das Telefon in der Wohnung.
Das Handy konnte kaputt sein, diese Möglichkeit bestand; er sah sich selbst meistens gezwungen, es alle zwei Jahre auszutauschen. Ellen Bjarnebos hatte vorige Woche, als er mit ihr sprach, für einige Sekunden funktioniert, konnte seither aber selbstverständlich seinen Geist aufgegeben haben. Und konnte die Verzögerung nicht der Tatsache geschuldet sein, dass sie auf ihrer Heimreise nach Kymlinge einen Zwischenstopp eingelegt hatte? Zum Beispiel bei ihrem Sohn in Stockholm? Warum nicht?
Er wählte dessen Nummer, und es meldete sich dieselbe Frau wie beim letzten Mal. Seine Gattin. Billy war auch an diesem Tag arbeiten, war es nicht so, dass sie sich auf ein Treffen am Wochenende geeinigt hatten? Sie klang schneidender, als sie ihm von ihrem letzten Gespräch in Erinnerung war.
Das hatten sie, bestätigte Barbarotti. Der Grund für seinen Anruf war, dass er versuchte, Billys Mutter zu erreichen. Wusste die
Weitere Kostenlose Bücher