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Am Abend des Mordes - Roman

Am Abend des Mordes - Roman

Titel: Am Abend des Mordes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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einige Zeit dem Versuch, etwas aus ihren Gesichtszügen herauszulesen. Eine recht schmächtige, ziemlich hübsche Frau, fand er. Klare Züge, hohe Wangenknochen. Ungefähr dieselbe, dunkelbraune Haarfarbe auf allen Bildern, was möglicherweise darauf hindeutete, dass sie nicht gefärbt waren; seinen Informationen zufolge waren sie in einem Zeitraum von etwa acht Monaten aufgenommen worden. Zu später entstandenen Fotos von ihr hatte er keinen Zugang, da keine Veranlassung bestanden hatte, sie im Zusammenhang mit Morinders Verschwinden abzulichten. Aber konnte man ihnen nicht doch etwas entnehmen, auch wenn seit damals zwei Jahrzehnte vergangen waren?
    Ein offener Blick und die Andeutung eines Lächelns. Zweifellos eine gewisse Sanftmut, zumindest auf drei Bildern. Nummer vier zeigte sie im Profil und war wenig aussagekräftig, aber dass die restlichen eine Frau porträtierten, die in der Lage gewesen war, ihren Mann mit einem Hammer zu erschlagen und ihn anschließend zu zerstückeln, war schwer zu verstehen. Mit diesem schutzlosen Blick?
    Wie eine Frau eines solchen Kalibers allerdings genau aussehen sollte, war natürlich auch nicht leicht zu sagen. Mörder trugen heutzutage selten eine schwarze Augenklappe oder hatten eine gebrochene Nase und Boxerohren, und Gunnar Barbarotti dachte, dass diese Verbrecherphysiognomien nun wirklich auf den Müllhaufen der Kriminalgeschichte gehörten.
    Aber Morde mit nachfolgender Zerstückelung des Opfers waren ungewöhnlich, auch wenn es rein technisch betrachtet kaum schwieriger sein dürfte, einen Menschen zu zerlegen als ein Schwein. Und Ellen Bjarnebo hatte in Göteborg im Schlachthof gearbeitet, fand sie das vielleicht letztlich gar nicht so seltsam? In allen Vernehmungen hatte sie erklärt, sie habe es aus praktischen Erwägungen getan. Ihr Mann war einfach zu schwer gewesen, und sie hatte nicht gewollt, dass er zu nahe am Haus lag.
    Er steckte die Fotos wieder weg und griff stattdessen zu einer von Gunvaldssons Vernehmungen. Objekt war diesmal eine gewisse Lisa Koskinen, eine Nachbarin Morinders, lange bevor er und Ellen Bjarnebo ein Paar wurden und nach Rocksta zogen. Er hatte die Abschrift vor ein paar Tagen gelesen, am späten Abend, und beschlossen, die Lektüre bei Tageslicht zu wiederholen, und setzte diesen Entschluss nun in die Tat um. Schon allein deshalb, weil es eine Zeugenaussage über den Charakter des Vermissten war. Oder nicht?
    Gunvaldsson: Also, wie viele Jahre haben Sie im selben Haus gewohnt?
    Koskinen: Großer Gott, ja, das müssen fast zehn Jahre gewesen sein. Solange ich dort wohnte, ungefähr von 1976 bis 1986.
    Gunvaldsson: Haben Sie ihn gut gekannt?
    Koskinen: Nein, wohl kaum.
    Gunvaldsson: Wie meinen Sie das?
    Koskinen: Er war schwierig.
    Gunvaldsson: Sprechen Sie weiter.
    Koskinen: Na ja, so ein Eigenbrötler. Er grüßte einen, aber das war auch schon alles. Ehrlich gesagt war er mir ein bisschen unangenehm.
    Gunvaldsson: Unangenehm?
    Koskinen: Ja, irgendwie schon. Er hatte diesen Blick. Den manche Männer haben. Sie wissen sicher, was ich meine.
    Gunvaldsson: Vielleicht. Gab es sonst noch etwas? Weshalb Sie ihn nicht mochten?
    Koskinen: Ich weiß nicht.
    Gunvaldsson: Das klingt, als würden Sie zögern.
    Koskinen: Ich weiß nicht, ob es stimmt. Es ist dabei ja nie etwas passiert.
    Gunvaldsson: Wobei?
    Koskinen: (Nach gewissem Zögern): Es ging um eine andere Nachbarin. Ein junges Mädchen im Erdgeschoss.
    Gunvaldsson: Ja?
    Koskinen: Er stellte ihr nach.
    Gunvaldsson: Stellte ihr nach?
    Koskinen: Ja, Sie wissen schon. Er bezog Posten und spannte. Sie wohnte doch ganz unten und so, und … nun ja, jedenfalls hat sie ihn angezeigt.
    Gunvaldsson: Sie sagen, dass diese Nachbarin ihn angezeigt hat? Weswegen?
    Koskinen: Woher soll ich das wissen. Wegen Belästigung, nehme ich an. Aber das hatte keine Folgen, und sie zog um.
    Gunvaldsson: Wie hieß sie, haben Sie noch Kontakt zu ihr?
    Koskinen: Nein, ich habe keinen Kontakt zu ihr. Sie hieß Linda irgendwas … Bengtsson, glaube ich. Ich glaube, sie hatte etwas mit einem Amerikaner und ist ins Ausland gegangen. In die USA, nehme ich an.
    Gunvaldsson: Wann war das?
    Koskinen: Was jetzt?
    Gunvaldsson: Als sie Morinder anzeigte.
    Koskinen: Das muss um 1980 herum gewesen sein. Vielleicht auch etwas später … ja, 1981 oder ’82, denke ich.
    Gunvaldsson: Haben Sie oft mir ihr darüber gesprochen?
    Koskinen: Nein, ich kannte sie ja gar nicht. Wir sind uns nur ab und zu in der Waschküche begegnet, da hat

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