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Am Abend des Mordes - Roman

Am Abend des Mordes - Roman

Titel: Am Abend des Mordes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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Schritt inne und schaute sich um. Entdeckte nichts; das heißt, sie entdeckte in ihrer Nähe zwar keinen Menschen, aber im Laub der Fliederhecke regte sich etwas, war es nicht so? Fünf Sekunden lang blieb sie regungslos stehen, und auch Billy stoppte ein paar Meter vor ihr, schien sich seiner Umgebung aber genauso wenig bewusst zu sein wie immer.
    Nichts. Keine Bewegung im Flieder. Woanders auch nicht. Nur Vögel, die umherflogen und unter dem hohen Junihimmel trillerten und zirpten. Lerchen, glaubte sie.
    Jemand spürt mir nach? Etwa Ingvor oder wer?
    Dummes Zeug. Das Schwein und die Maus sind unterwegs, um bei der Shell-Tankstelle in Hamrakorset Süßigkeiten zu kaufen. Wer würde auch nur einen Finger rühren, um einem solchen Paar nachzuspüren?
    Wer in aller Welt sollte sich für sie interessieren?

24
    W ie verabredet trafen er und Sara sich vor der Gaststätte Kryp-in an der Prästgatan in der Stockholmer Altstadt. Es war kurz nach sieben, sie hatte vor weniger als drei Stunden ihre letzte Prüfung für dieses Semester hinter sich gebracht, und er sah seiner Tochter an, dass es gut gelaufen war. Sie bekamen einen kleinen Tisch draußen in der schmalen Gasse, und er hatte das Gefühl, dass sie etwas ausstrahlte. Jugend und Zukunftsoptimismus und was auch immer. Schönheit und Intelligenz und natürlich auch noch einiges anderes; es machte ihn gleichermaßen stolz und alt, und er dachte, dass dies eigentlich ziemlich schön war. Hätte man sich in der momentanen Lage mehr wünschen können? Der passive, aber nie ruhende Blick des Beobachters? Bereit, wenn er gebraucht wurde, aber nur dann. Er fragte sich, ob er Gelegenheit dazu bekommen würde, im Laufe des Wochenendes diesen Freund zu treffen, was sie angedeutet hatte, und wer immer er auch sein mochte, Gunnar Barbarotti fand jedenfalls, dass man ihn nur beglückwünschen konnte. Ein besserer Fang als Sara war kaum vorstellbar.
    Großer Gott, dachte er, warum nenne ich sie bloß einen Fang?
    Aber sobald sie an ihrem Tisch Platz genommen hatten, drehte sie den strahlenden Glanz eine Stufe kleiner. Wurde Tochter statt Frau.
    »Wie geht es dir, Papa?«
    »Du musst aufhören, mich ständig zu fragen, wie es mir geht, Sara. Das braucht einfach ein bisschen Zeit.«
    »Es gehört zum guten Ton zu fragen, wie es jemandem geht, wenn man sich trifft.«
    Er zwinkerte ihr zu. »Aber nicht in diesem Ton. Du hast dich angehört, als würdest du mit einem Patienten sprechen. Oder mit jemandem, der gerade von einem Straßenhobel überrollt worden ist.«
    »Und, bist du das nicht?«
    »Sicher«, gab er zu. »Aber das ist jetzt schon etwas her. Ich bin normaler, als du glaubst.«
    »Schön«, sagte Sara. »Wir werden uns sicher noch ausführlicher über alles unterhalten, aber erst müssen wir essen. Ich habe einen Mordshunger.«
    »Wie ich sehe, ist deine Prüfung gut gelaufen?«
    »Das ist sie.«
    »Dann könntest du jetzt Sommerferien haben? Im Prinzip, meine ich?«
    Sie lachte. »Papa, ich bin vierundzwanzig. Weißt du, die Zeit der Sommerferien ist für mich vorbei.«
    »Tja, da hast du wahrscheinlich recht.«
    »Ich fahre am Sonntag mit dir nach Kymlinge und bleibe eine Woche. Danach arbeite ich sieben Wochen in einer Anwaltskanzlei.«
    »Sind sieben Wochen wirklich notwendig?«, wollte Gunnar Barbarotti wissen, der selbst ungefähr halb so lange in einer ähnlichen Einrichtung in Lund gearbeitet hatte. Aber das war in grauer Vorzeit gewesen.
    »Was möchten Sie trinken?«, fragte die Kellnerin, die in Saras Alter, aber nicht ganz so strahlend war.
    »Rotwein?«, schlug Barbarotti mit einem Blick auf seine Tochter vor.
    »Rotwein«, bestätigte Sara und nickte der Kellnerin zu. »Bringen Sie uns eine richtig gute Flasche, ich glaube, der da zahlt.«
    Barbarotti breitete die Arme aus und lächelte. Der da.
    Es war ein warmer Abend, und sie blieben einige Stunden in der Prästgatan sitzen. Und sprachen über wirklich alles, fand er; über das Leben und den Tod, über den Verlust und die Trauer. Über die Jungen, über Arbeit und Zukunft, über Marianne und über ihren Freund Max, dessen Bekanntschaft er in der Tat am nächsten Abend machen würde – und als er bezahlt hatte, spazierten sie durch ein derart schönes Stockholm, dass er nicht fassen konnte, warum er in Kymlinge wohnte. In fünf Jahren, dachte er, in fünf Jahren sind alle Kinder aus dem Haus. Dann ziehe ich hierher.
    Er sprach es nicht aus, erkannte aber dennoch, dass es ein Zeichen dafür war, dass er noch

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