Am Abend des Mordes - Roman
mitzuteilen haben, ist also nicht so wichtig, dass sie ihm Priorität einräumen, hatte Eva Backman gekontert.
Pri … was, hatte Lill-Marlene Fängström entgegnet. Reden Sie keinen Unsinn, ich schaue morgen Vormittag bei Ihnen vorbei.
Und nun hatte sie also endlich ihren Auftritt. Frisch gefärbte Haare und hohe Absätze.
»Setzen Sie sich«, sagte Backman. »Sie kommen zwanzig Minuten zu spät.«
Es dauerte eine Weile, bis deutlich wurde, worin die wichtigen Informationen bestanden.
Die ihres Sohnes beraubte Mutter weinte nämlich erst einmal eine Runde, was bei den beiden früheren Vernehmungen auch nicht anders gewesen war. Beklagte sich, beschwerte sich und flennte ein paar Minuten, worauf sie einige Zeit darauf verwenden musste, ihr Make-up neu zu organisieren, während sie Inspektor Backman zum dritten Mal von den vielen einzigartigen Eigenschaften und Vorzügen ihres Sohnes – ihres einzigen Sohnes – erzählte. Von seinem Patriotismus. Seinem Stolz. Seinen herausragenden Kenntnissen in schwedischer Geschichte, seinem Mut und seinem Gerechtigkeitssinn.
Seiner kurzen, aber glänzenden Karriere als Leiter einer Pfadfindergruppe und, nicht zu vergessen, von seinem politischen Talent.
Um nicht zu sagen Genie. Will sagen, von seinem politischen Genie. Backman stellte die Ohren auf Durchzug, so gut es ging, und ließ sie gewähren. Warum kann ich kein Mitleid mit ihr haben, fragte sie sich. Das ist ja furchtbar.
Anfangs hatte sie natürlich welches gehabt. Eine Mutter, deren einziger Sohn getötet worden war – dass es sich um eine Vergiftung handelte, stand seit zwei Tagen fest, um welches Gift es sich handelte und wie es verabreicht worden war, hatte man dagegen noch nicht ermitteln können; im Labor gab es nach wie vor irgendwelche Schwierigkeiten mit irgendetwas –, nun ja, konnte man sich überhaupt etwas Traurigeres und Herzzerreißenderes vorstellen?
Aber Lill-Marlenes extrovertiertes Benehmen hatte man irgendwann einfach satt. Backman hatte versucht, ihre eigene Gleichgültigkeit zu bekämpfen, aber an einem Tag wie diesem – dem gelobten Samstag der Genervtheit – stand sie mit ihren Bemühungen auf ziemlich verlorenem Posten.
»Also, sie sind mir vorgestern aufgefallen«, erklärte Lill-Marlene Fängström zu guter Letzt und machte eine Kunstpause.
Backman erkannte, dass ihre Gedanken abgeschweift waren, und richtete sich auf ihrem Stuhl auf.
»Entschuldigen Sie. Wen haben Sie vorgestern gesehen?«
»Na, diese Männer«, antwortete Lill-Marlene Fängström. »Das habe ich doch gerade gesagt.«
»Erzählen Sie«, forderte Backman sie auf.
»Das tue ich ja«, sagte Fängström und begann, mit einem ihrer Hochhackigen zu wippen. Er war hellgrün, hing am großen Zeh und wirkte zwei Nummern zu klein. »Ich sage doch, dass sie mir gestern ins Auge gefallen sind, aber zum ersten Mal gesehen habe ich sie vorgestern, also am Donnerstag. Sie waren zu zweit und hatten nicht den geringsten Grund, sich ausgerechnet dort aufzuhalten. Warum sollten sie?«
»Und wo?«, fragte Backman. »Wo haben Sie diese Männer gesehen?«
»Vor seiner Wohnung natürlich«, sagte Fängström. »Ich war da und habe geputzt. Und seine Sachen durchgesehen, das muss doch getan werden, nicht?«
»Sicher«, sagte Backman.
Denn damit hatte sie natürlich recht. Die Wohnung, in der Raymond Fängström gewohnt hatte und tot aufgefunden worden war, wurde nicht mehr als Tatort klassifiziert. Die Spurensicherung hatte die zweiundsechzig Quadratmeter tagelang minutiös durchkämmt, zweihundertfünfzig Fotos geschossen und alles beschlagnahmt, was möglicherweise einen Hinweis geben konnte. Fingerabdrücke waren gesichert, Müll und Haare und Computer und abgeschnittene Fingernägel ausgewertet worden. Selbstverständlich konnte die Mutter des Opfers dorthin gehen und putzen, wenn sie das wollte.
»Ich habe sie also durch das Küchenfenster gesehen«, fuhr Fängström fort. »Zwei Männer, die auf dieser Bank im Hof saßen und so taten, als würde sie sich unterhalten. Aber das haben sie gar nicht getan. Sie haben überwacht.«
»Überwacht?«, sagte Backman.
»Die Wohnung überwacht«, verdeutlichte Fängström. »Das sage ich doch. Solange ich da war, blieben sie sitzen. Fast eine Stunde lang, nachdem sie mir aufgefallen waren. Sie hatten Zeitungen dabei, haben aber nicht in ihnen gelesen. Und sie sind mir nicht gefolgt, ich habe Kjell-Arne angerufen, und er ist gekommen und hat mich mit dem Wagen abgeholt, so dass sie
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