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Am Abend des Mordes - Roman

Am Abend des Mordes - Roman

Titel: Am Abend des Mordes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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sich auf die Unterlippe. Er dachte, dass sie fast so hübsch war wie Sara, was natürlich ein völlig irrelevanter Gedanke war, aber er tauchte auf, weil sie zögerte. Dann zog sie einen Briefumschlag aus der Tasche. Ein gewöhnlicher weißer, zwölf mal fünfzehn Zentimeter groß. Er sah kurz, dass ihr Name auf der Vorderseite stand. Sie zog ein Foto heraus und reichte es ihm.
    Es zeigte einen Mann und einen Pinguin. Allem Anschein nach war es in einem Vergnügungspark aufgenommen worden, denn am rechten Bildrand sah man ein Karussell. Der Pinguin und der Mann waren gleich groß, und der Pinguin schien aus einer Art flauschigem Stoff hergestellt worden zu sein. Er nahm an, dass in dem Kostüm ein Mensch steckte. Der Mann hatte den Arm um seinen Hals und die abfallenden Schultern gelegt und lächelte breit in die Kamera.
    Das war alles.
    »Drehen Sie es um«, forderte sie ihn auf.
    Er tat es und las:
    Pass auf dich auf. V.
    Er betrachtete sie.
    »Das kam gestern. Mit der Post.«
    Sie schob ihm den Umschlag zu. Spanische Briefmarken. Ihr Name und ihre Adresse: Vintervägen in Solna. Der Absenderstempel war verwischt, begann aber mit Ma-. Malaga, dachte er.
    »Ist er das?« Er gab den Umschlag und das Foto zurück. »Ich erkenne ihn nicht. Wissen Sie, ich bin ihm nämlich nie begegnet.«
    Sie steckte das Bild in die Tasche zurück. Faltete die Hände auf der Tischkante und betrachtete ihn wieder eine ganze Weile. Er erwiderte ihren Blick, ohne eine Miene zu verziehen. Schließlich verzog sie den Mund zu einem Lächeln.
    »Nein«, sagte sie. »Das ist bestimmt jemand anderes. Das kann er ja gar nicht sein, nicht wahr?«
    »Es wäre schon wirklich seltsam«, stimmte Barbarotti ihr zu. »Wenn es denn so wäre. Aber es war schön, Sie wiederzusehen. Ich bin mir sicher, dass aus Ihnen eine ausgezeichnete Ärztin wird. Wie gesagt, passen Sie auf sich auf.«
    Sie stand auf. Umarmte ihn kurz und ging in Richtung Oper davon.

28
    E ine Stunde später hatte er hinter der Königlichen Bibliothek eine eigene Ulme gefunden, streckte sich unter ihr im Gras aus, rollte seinen Pullover zu einem Kissen im Nacken zusammen und blickte in die gewaltige Laubkrone hinauf. Es gibt eine Verbindung zwischen großen Bäumen und Würde, dachte er, sie haben ein Verständnis vom Leben, von dem wir Menschen weit entfernt sind, es geht um etwas Grundlegendes und Selbstverständliches – aber ehe er seine Gedanken weiter in diese unsichere Richtung abdriften ließ, fiel ihm ein, dass er sein Handy nicht wieder eingeschaltet hatte, nachdem er die Wohnung in der Blekingegatan verlassen hatte, und es dafür Zeit sein könnte. Vielleicht musste Sara ihn erreichen. Oder die Kinder in Kymlinge. Oder Ellen Bjarnebo, warum nicht?
    Aber er hatte nur eine Nachricht in der Mailbox. Von Eva Backman. Sie meinte, er solle sie zurückrufen, wenn er Zeit habe.
    Er schaute sich um und stellte fest, dass er durchaus ein wenig Zeit erübrigen konnte. Wählte ihre Nummer und wartete. Wollte die Verbindung gerade unterbrechen, als sie sich atemlos meldete.
    »Hallo?«
    »Ich bin’s, Barbarotti. Machst du Liegestütze?«
    »Nein. Ich komme gerade aus der Waschküche. Du hast meine Nachricht erhalten?«
    »Ja. Deshalb rufe ich an. Ich liege in einem Park in Stockholm.«
    »Du liegst?«
    »Ja.«
    »Bist du blau?«
    »Nicht wirklich. Aber es ist schönes Wetter, und ich habe ein paar Stunden nichts zu tun. Was wolltest du von mir?«
    »Es spielt sicher keine Rolle«, sagte Eva Backman ruhiger. »Es geht nur um eine kleine Information, die ich einem Kollegen mit den besten Absichten übermitteln wollte.«
    »Elegant formuliert«, meinte Barbarotti. »Und?«
    »Nun, ich habe heute Morgen mit Fängströms Mutter gesprochen.«
    »Der Schwedendemokrat?«
    »Ja. Wie geht es dir übrigens?«
    »Hör auf zu fragen, wie es mir geht. Was war mit Fängströms Mutti?«
    »Nun, sie hat mir etwas über Morinder erzählt. Und über Bjarnebo.«
    »Über Morinder und Bjarnebo? Was hat sie denn mit den beiden zu tun?«
    »Nichts. Aber sie ist einmal in dieselbe Schulklasse gegangen wie sie.«
    »Dieselbe Klasse?«
    »Ja, offensichtlich. Das war’s auch schon. Ach ja, und dann meinte sie sich noch zu erinnern, dass Morinder schon damals ein bisschen scharf auf die Bjarnebo war.«
    »Was?«, sagte Barbarotti.
    »Ja, ich habe gesagt, dass Morinder ein bisschen scharf gewesen sein soll auf …«
    »Das habe ich gehört. Wann soll das gewesen sein?«
    »Vor ungefähr fünfundvierzig Jahren«,

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