Am Abend des Mordes - Roman
Beziehung des Jungen zu seiner Mutter vielleicht genauso schlecht wie zum Vater? Hatten Gunder und Lisbeth Mattson richtig gehandelt, als sie Billys schlechte Wurzeln kappten und ihn in der fruchtbaren Ebene Närkes in neue Erde umpflanzten?
Tja, woher soll man das wissen, dachte Barbarotti und blieb an einer roten Ampel zwischen zwei Kinderwagen stehen. Billy Helgesson hatte mit der Zeit immerhin ein Leben in Würde bekommen. Zumindest eine Art Leben: Ich habe meine eigene Familie. Dass Juliana Peters in der Blekingegatan die Hosen anhatte, schien über jeden Zweifel erhaben, aber so war es Billy ja schon sein ganzes Leben ergangen. Er hatte in seiner Jugendzeit in Hallsberg halbwegs sprechen gelernt, aber dass er ohne größeren Widerstand von dort weggezogen war, deutete das nicht auch auf etwas hin? Eventuell ließ sich ein Kräftemessen zwischen Gunder Mattson und Juliana erahnen, aber mit dieser Annahme steckte man natürlich bereits tief im Sumpf der Spekulationen. Eine sicherere Beobachtung lautete, dass Lisbeth Mattson alle Merkmale eines unglücklichen und ängstlichen Menschen aufwies, als Barbarotti sich am Vortag mit ihr unterhalten hatte, und er fragte sich, ob dies zehn oder zwanzig Jahre zuvor wirklich so viel besser gewesen sein sollte.
Grün. Wieder eine voreingenommene Argumentation, das gab er gerne zu, aber was soll man machen, dachte er. Wenn einen jemand bat, zwei und zwei zusammenzuzählen, brauchte man doch nicht so zu tun, als würde man das Ergebnis nicht kennen?
Jedenfalls ging es – die ganze Zeit und nach wie vor – ja eigentlich um Ellen Bjarnebo. Hatte sie heute vielleicht doch, nach Billys Fortgang aus Hallsberg, ein bisschen Kontakt zu ihrem Sohn? Auch wenn sie sich nicht sonderlich oft trafen. Sie besuchte ihn und seine Familie zu Weihnachten, zumindest manchmal, das hatte Billy behauptet. Zumindest hatte sie es einmal getan – und er hatte gewusst, dass sie nach Nordschweden gefahren war. Vielleicht stand es ja doch nicht so schlecht um die beiden, wie Barbarotti sich das zunächst vorgestellt hatte. Vielleicht gab es da eine emotionale Verbindung.
Dass seine Stiefeltern des Öfteren in der Blekingegatan vorbeischauten, bezweifelte Barbarotti allerdings stark, und ebenso wenig konnte er sich vorstellen, dass Juliana Peters regelmäßig in Hallsberg aus dem Zug stieg.
Wieder rot. Und Arnold Morinder? Wie um Himmels willen passte er ins Bild? Ging es nicht in erster Linie um sein Verschwinden und nicht um die dünn gesäten Beziehungen in der zersplitterten Familie Bjarnebo-Helgesson? War es nicht das, was er auf Wunsch Asunanders untersuchen sollte?
Ja, worum hatte Asunander ihn eigentlich gebeten, was sollte er untersuchen?
Ende der Fahnenstange, dachte Inspektor Barbarotti und wäre um ein Haar von einem Fahrradkurier angefahren worden, als die Ampel auf Grün umschlug. Bin ich nicht schon vor einer ganzen Weile zu dieser Erkenntnis gekommen?
Gehe zurück auf Los, die Bilder waren Legion.
Am Fuß des Anstiegs, von dem er glaubte, dass er im Volksmund der Buckel genannt wurde, fiel ihm die Söder-Buchhandlung ins Auge, und er hielt inne und beschloss, alle düsteren Grübeleien einzustellen und stattdessen hineinzugehen und ein Geschenk für Sara zu kaufen. Nach einem erfolgreichen Semester, vor dem Sommer, als Dankeschön dafür, dass er auf ihrer Couch schlafen durfte und so weiter und so fort.
Er fand einen hübschen Sammelband mit Gedichten Gunnar Ekelöfs. Ließ das Buch als Geschenk verpacken und bezahlte. Ein gutes Gegengewicht zur Rechtswissenschaft, dachte er. Es muss eine Balance im Leben geben, hoffentlich weiß sie das Buch zu schätzen. Er hatte während seines Studiums in Lund Ekelöf gelesen. Ehrlich gesagt, mehr Ekelöf und Bücher in seinem Stil als juristische Fachtexte, und genau deshalb war es wohl auch so gekommen, wie es gekommen war.
Als er nach Slussen hinunterkam, war es ihm gelungen, Familie Helgesson/Bjarnebo in den Hintergrund zu schieben, und er dachte erneut, dass Stockholm wirklich eine wunderschöne Stadt war. Insbesondere an einem solchen Vorsommertag, an dem alles, diese ganze dicht gedrängte Steinstadt, all die schweren Gebäude, die Felsen, die Straßen und Plätze, die Parks und Bäume und Menschen und Autos, auf dem Wasser zu treiben, fast zu schweben schienen. Die Altstadt, die Inseln Riddarholmen und Kungsholmen; Djurgården ganz hinten zu seiner Rechten, alle Kirchtürme, die sich in den blauen, wolkenbetupften Himmel erhoben.
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