Am Abend des Mordes - Roman
in der Leitung war, versuchte sie erst gar nicht zu übertünchen, wie die Dinge lagen.
»Also, es ist so«, setzte sie an. »Ellen Bjarnebo und ich kennen uns seit mehr als zwanzig Jahren. Ich nehme an, dass Ihnen unsere Vergangenheit nicht unbekannt ist, aber ich weiß nicht, worauf sie eigentlich hinauswollen, und schlage deshalb vor, dass Sie Ellen in Ruhe lassen.«
»Wenn ich mich vorher mit ihr zusammensetzen und eine Weile unterhalten darf, ist genau das meine Absicht«, konterte Barbarotti. »Darf ich aus Ihren Worten den Schluss ziehen, dass Sie wissen, wo sie sich aufhält?«
»Was heißt hier ziehen«, antwortete Mona Frisk. »Das ist etwas, was wir hier oben mit Leuten auf Skiern machen.«
»Sparen Sie sich Ihre Scherze«, sagte Barbarotti. »Und?«
»Sie ist hier«, sagte Mona Frisk nach einer kurzen Pause.
»Als wir das letzte Mal telefonierten, haben Sie behauptet, sie hätte den Bus nach Umeå genommen.«
»Mag sein«, erwiderte Mona Frisk. »Sie hat in ihrem Leben schon genug Ärger mit der Polizei gehabt.«
»Sie haben mich angelogen«, sagte Barbarotti. »Meiner Erfahrung nach lügt man nur, wenn man etwas zu verbergen hat.«
»Unsinn«, widersprach Mona Frisk. »Es gibt tausend gute Gründe, sich die Polizei vom Hals zu halten. Ganz besonders für ehrliche und strebsame Menschen, aber um das zu begreifen, fehlt Ihnen wahrscheinlich jede Voraussetzung. Jedenfalls sage ich Ihnen jetzt, wie es aussieht, nicht? Ellen Bjarnebo hält sich in meiner Pension auf.«
»Dann hat sie letzten Sonntag also nicht den Bus genommen?«
»Nein.«
»Und sie ist oft bei Ihnen zu Gast?«
»Nicht zu Gast. Sie hilft hier regelmäßig aus.«
»Sie arbeitet bei Ihnen?«
»Wenn Sie so wollen.«
»Ist sie gerade in der Nähe?«
»Leider nicht«, antwortete Mona Frisk, und er hörte, dass sie dieses Gespräch inzwischen fast genoss. »Ich habe ihr gerade erklärt, was los ist, und sie lässt Ihnen ausrichten, wenn Sie etwas von ihr wollen, werden Sie wohl die Güte haben müssen, zu ihr zu kommen.«
»Nach Vilhelmina?«
»Es ist schön hier oben. Unsere Gäste kommen jedes Jahr wieder. Ich finde schon noch ein freies Zimmer für eine Nacht, wenn Sie sich die Gegend persönlich anschauen möchten.«
Barbarotti schwieg.
»Falls ich mir auch die Freiheit nehmen dürfte, Schlüsse zu ziehen«, fuhr Mona Frisk nach einer Weile fort, »scheinen Sie nicht die Absicht zu haben, Ellen zu einer Vernehmung vorzuladen. Was treiben Sie da eigentlich?«
»Das muss ich Ihnen nicht erklären«, antwortete Barbarotti.
»Nicht? Nun, dieses alte Ermittlungsverfahren wegen ihres bescheuerten Lebensgefährten muss doch seit Jahren tot und begraben sein. Wohlgemerkt, damit meine ich die Ermittlungen, nicht den Lebensgefährten. Cold cases, diesen Bockmist gibt es doch nur im Fernsehen. Dieser Professor, der die ganze Zeit aussieht, als würde er im Sterben liegen. PV oder wie der heißt?«
»Okay«, sagte Barbarotti. »Ich komme.«
»Tatsächlich?«, erwiderte Mona Frisk und klang verbissen amüsiert. »Schön, seien Sie mir herzlich willkommen.«
»Aber wenn ich sie dann nicht antreffe, erscheinen die Dinge in einem ganz neuen Licht. Ich hoffe, Sie haben mich verstanden?«
Das brachte sie zum Lachen. Kurz und nicht besonders herzlich. »Ich verstehe weit mehr, als Sie ahnen, Herr Inspektor«, sagte sie. »Darf ich aus Ihren Worten den Schluss ziehen , dass Sie morgen hier auftauchen werden?«
»Ich melde mich wieder«, erklärte Barbarotti und beendete das Gespräch.
Verdammter Mist, dachte er, und im selben Moment kam Sara zur Tür herein.
Sie war es, die ihn überredete.
Wenn er ohnehin nach Nordschweden reisen musste, konnte er das doch genauso gut so schnell wie möglich machen. Sara benötigte nur Sekunden, um das zu entscheiden. Die Verantwortung für die Teenager in Kymlinge würde sie übernehmen. Sie wollte ja ohnehin die gesamte kommende Woche in der Villa Pickford bleiben. Nicht wahr? So hatten sie es geplant. Wenn er am Montagmorgen das Flugzeug zu dieser Pension in Lappland nahm und am Dienstag zurückflog, würde er Dienstagabend wieder zu Hause sein. Spätestens aber am Mittwochvormittag. Wo lag das Problem?
»Das Problem«, antwortete Barbarotti nach kurzer Bedenkzeit, »das Problem liegt darin, dass mein Platz bei der Familie ist. Nicht in einer Pension nördlich des Polarkreises.«
»Vilhelmina liegt, wenn ich mich nicht irre, etliche Kilometer südlich des Polarkreises«, informierte Sara ihn.
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