Am Abgrund der Zeit (Science-Fiction-Roman) (German Edition)
bringen. Aber wir haben es geschafft.«
»Sehr gut«, lobte Stafford. »Ich hätte den Flug gern durch Ihre Augen gesehen, Mr. Gray. Aber leider ist das nicht möglich.«
»Es ist möglich, Sir. Ich habe vom Computer eine Cyber-Kopie anfertigen lassen. Sie können sie über den Monitor verfolgen. Ich weiß allerdings nicht, wie Sie die Eindrücke aufnehmen.«
Stafford sah den blinden Navigator nachdenklich an.
»Das haben Sie hervorragend gemacht, Mr. Gray. Sehr gut, wir werden uns das ansehen. Ich rufe die gesamte Crew in die Zentrale.«
Stafford ließ sich zuerst die Klarmeldungen durchgeben und war erleichtert als er hörte, dass während der Transition keinerlei Störungen aufgetreten waren.
Etwas später hatten sich alle in der Zentrale versammelt. Der Commander erläuterte kurz, worum es ging.
»Nach Art eines EEG hat Mr. Gray seine Eindrücke über den Flug durch den Hyperraum aufzeichnen lassen. Wir selbst haben noch nie einen Eindruck davon erhalten. Wir wissen nur, dass wir uns in einem übergeordneten Impulsfeld befinden und unter gewissen Vorstellungen leiden, die meist völlig abstrakt sind. Möglicherweise bringt uns das nachvollzogene Ergebnis neue Erkenntnisse. Wir werden die Eindrücke vom Monitor auf den großen Fernschirm schalten.«
Jeder vergewisserte sich mit einem schnellen Blick, dass sich vor ihnen im Raum kaum etwas verändert hatte. Das Auge von Cygnus X-1 war ein wenig größer und leuchtender geworden. Das war auch schon alles, bis auf ein paar Sternbilder, die sich nur unmerklich verschoben hatten.
Nach dem dritten Hypersprung würde sich das Bild allerdings grundlegend ändern.
Stafford schaltete die EEG-Aufnahme auf Wiedergabe und parallel dazu auf den großen Schirm.
Flimmernde Linien erschienen, dann wurde alles leuchtend blau. Sie alle sahen und fühlten jetzt fast die Gedanken des Navigators mit seinen unbegreiflichen Fähigkeiten.
Als der Irrgarten mit seinen farbigen Lichtbalken und schimmernden Kristallen erschien, begann Dr. Bonelli unterdrückt zu stöhnen.
»Lieber Himmel. Das – das ist einfach unbegreiflich. Das sieht ja aus wie ein gigantisches Straßennetz. Aber leider fehlen die Schilder und Kilometerangaben. Wie finden Sie sich da zurecht?«
»Ich kann es nicht erklären. Ich weiß es nur. Es gibt viele Irrwege, die irgendwo im Nichts enden. Wir müssen immer dem blauen Balken folgen. Berühren wir den anderen, werden wir augenblicklich wie ein Fremdkörper abgestoßen. Damit dürften wir in eine Dimension vorstoßen, die keine Rückkehr mehr erlaubt. Übrigens hat der gesamte Hyperflug nur fünfzig Minuten Bordzeit gedauert.«
Katja Fedorowna sah den Navigator bewundernd an.
»Das ist fantastisch, Kane«, sagte sie mit leuchtenden Augen. »Sie bringen uns eine Welt nahe, die man nicht einmal zu träumen wagt.«
»Nur eine übergeordnete Dimension«, wehrte Gray bescheiden ab. »Ich habe selbst sehr lange gebraucht, bis ich sie begriffen habe.«
»Und ich bin kosmischer Navigator«, meinte Frank Beauregard mit einen trockenen Auflachen. »Gegen Sie bin ich doch nur ein einfacher Kutscher. Ich würde mich in diesem Irrgarten hoffnungslos und auf ewig verfranzen.«
»So wie ich im normalen Universum«, konterte Gray. »Achten Sie nun bitte auf ein ganz eigenartiges Phänomen.«
Der »Verteiler« erschien – das abstrakte Gebilde, das sinnverwirrend durch alle Raumzeit-Ebenen lief.
Jeder der Anwesenden spürte deutlich Grays Gedankenimpuls und seine augenblickliche Ratlosigkeit. Unbewusst stöhnten alle auf und bewunderten gleichzeitig das sagenhafte Reaktionsvermögen.
Als hinter der rötlich wabernden Wand das Sonnensystem mit seinen Abertausenden absolut erdähnlichen Planeten auftauchte, sprang der Commander verblüfft auf und trat näher an den Schirm heran. Aber noch bevor er die Szene richtig erfassen konnte, hatte Gray bereits den intensiv blau leuchtenden Balken wiedergefunden und brachte das Schiff zielsicher auf seinen Kurs.
Augenblicke später brach die Verbindung ab, als »Herakles« ins andere Kontinuum zurückkehrte.
Eine halbe Minute lang herrschte ehrfürchtiges und verblüfftes Schweigen. Niemand konnte sich dem Eindruck entziehen, bis Stafford endlich die Stille durchbrach. Seine Worte klangen ungläubig.
»Was war das, Mr. Gray?«, fragte er tonlos. »Ich sah sekundenlang ein Sonnensystem mit unendlich vielen Planeten, die sich wie Perlen an einer Schnur reihten. War es ein Trugbild oder habe nur ich das bemerkt?
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