Am Abgrund der Zeit (Science-Fiction-Roman) (German Edition)
Blüchers entscheidend geschlagen.«
Stafford nickte zustimmend. Er hatte verstanden.
»Die Geschichte verlief also so, wie wir sie kennen. Aber es gibt demnach noch eine andere Version.«
»Richtig«, stimmte Gray nickend zu. »Hätte der Zar akzeptiert, wäre alles anders verlaufen. Bis dahin war die energetische Daseinsform der Zeit absolute Realität. Dieses Zeitenergieband ist allerdings so schmal, dass es ständig instabil werden kann. Damit verändert sich bereits der Lauf der Geschichte. Napoleon wäre zum absoluten Herrscher aufgestiegen. Damit eröffnen sich völlig neue und grundlegende Perspektiven. Als Alternative verschiebt sich jetzt eine völlig neue Geschichte zur benachbarten Zeitebene und wird dort Wirklichkeit. Sie muss Wirklichkeit werden, weil Zeit eine vierdimensionale Energieform ist, die nicht spurlos verschwinden kann. Eine Parallelwelt entsteht.«
Stafford hatte unbewusst den Mund geöffnet und starrte den blinden Navigator einigermaßen perplex an.
»Sie wollen damit sagen, dass Napoleon jetzt auf einer Parallelwelt die absolute Macht ausübt – dass alles anders geworden ist auf dieser anderen Welt?«
»Ja, das wollte ich damit sagen. Es gibt diesen Planeten in einer anderen Zeitebene oder Dimension, wenn Sie so wollen.«
»Unfassbar«, ächzte Bonelli. »Und falls die Japaner damals die Vereinigten Staaten besiegt hätten?«
Kane Gray lächelte dem Kryobiologen zu.
»Auch diese Welt existiert, sobald sich ein Kreuzweg gezeigt hat«, versicherte er »Ein Planet, auf dem Amerika nur eine untergeordnete Rolle spielt, falls es überhaupt noch existiert. Alle paar Augenblicke können solche Welten entstehen, die sich dann in eine andere Ebene verschieben.«
»Um Himmels willen. Das hieße ja, dass ich mehrmals existiere«, meinte Bonelli ungläubig.
»Nur wissen Sie in dieser Zeit nichts davon, und in der anderen ebenfalls nicht.«
Bonelli setzte sich mit einem plötzlich Ruck gerade hin.
»Wissen Sie, was das bedeutet?«, hauchte er. »Nach Ihrer Version wären wir alle unsterblich. Irgendein Umstand reißt mich aus dem Leben, aber ich stehe am Kreuzweg der Zeit und verschwinde auf eine andere Zeitebene, in der ich weiterhin existiere. Es müsste demnach auch eine Parallelwelt der Toten geben.«
»Nun ereifern Sie sich mal nicht, Doc«, klang Staffords kühle Stimme auf. »Noch ist überhaupt nichts bewiesen. Wir stehen einem ähnlichen Phänomen gegenüber, wie es uns sicher auch im Black Hole erwarten wird. Unser Verstand begreift diese Dimensionen noch nicht, obwohl wir sozusagen einen flüchtigen Blick hinter die Kulissen geworfen haben.«
Die kühle Stimme brachte den hektisch gewordenen Bonelli wieder in die Wirklichkeit zurück. Er lief ein wenig rot an.
»Dann möchte ich wissen, was aus der Mannschaft der »Danae« geworden ist«, flüsterte er. »Sie könnten direkt neben uns existieren, ohne dass wir etwas von ihnen bemerken. Unheimlich«, schloss er.
Ja, das war unheimlich, was Gray da erzählt« hatte, dachte auch der Commander etwas beklommen.
Er wusste noch nicht, was ihnen allen noch bevorstand. Es sollte jedenfalls noch weitaus schlimmer kommen, als er es sich in seiner kühnsten Fantasie vorstellen konnte.
Kapitel 3
»Herakles« bewegte sich dicht an der LG durch die Schwärze des Raumes. Der Zielstern Cygnus X-1 kam trotz dieser Geschwindigkeit scheinbar kaum näher. Aber jeder hatte das Gefühl, als sei das jetzt rötlich-blau leuchtende Riesenauge dämonischer geworden. Es stand seitlich versetzt fast unverändert im Backbord-Rot-Sektor. Stafford und Beauregard hatten ihre Berechnungen längst abgeschlossen. Der Commander hatte vor, einen weiteren Hypersprung auszuführen, und dann ein knappes Jahr mit Unterlicht weiterzufliegen. Danach sollte »Herakles« noch einmal beschleunigen, um ein weiteres Jahr zu überbrücken. In dieser Zeit sollten auch die entbehrlichsten Leute der Crew in Bonellis »Mumiensaal« in den Tiefschlaf versetzt werden.
Der endgültig letzte Sprung sollte den Raumer dann bis unmittelbar vor sein Ziel bringen, wo dann der eigentliche Forschungsauftrag begann. Knapp drei Monate waren seit dem ersten Sprung vergangen, als eine Änderung eintrat, mit der niemand gerechnet hatte.
Es war Dr. Bonelli, der dem blinden Navigator immer wieder heimliche Blicke zuwarf und ihn musterte.
Gray saß unbeteiligt in einem Sessel und war in sich gekehrt, als würde er über einem Problem grübeln. Dennoch entging ihm nicht,
Weitere Kostenlose Bücher