Am Abgrund der Zeit (Science-Fiction-Roman) (German Edition)
verspreche ich Ihnen«, sagte Stafford. »Da sich die Gegebenheiten geändert haben, sind auch unsere vorherigen Berechnungen hinfällig. Wir werden in ein paar Stunden die nächste Transition einleiten, wenn Sie sich kräftig genug fühlen, Mr. Gray.«
»Kein Problem, Sir. Ich bin ausgeruht und fühle mich durchaus in der Lage, die Navigation zu übernehmen.«
»Sehr schön. Noch eine Frage, Mr. Gray: Besteht die Möglichkeit, anstatt einer Cyber-Kopie direkt an Ihr EEG angeschaltet zu werden, oder halten Sie das für ausgeschlossen?«
»Es käme auf einen Versuch an«, meinte Gray bedächtig. »Ich bin jedoch davon überzeugt, dass Sie die Eindrücke ganz anders aufnehmen, als ich sie erkenne. Dennoch können wir es versuchen. Eine C-Kopie sollten wir trotzdem anfertigen, damit Sie Ihre Eindrücke später vergleichen können.«
»Ein guter Gedanke. Vielleicht ergibt sich eine Änderung.«
Gray war sich absolut sicher, dass es keine Änderung geben würde. Es war schon oft versucht worden – jedes Mal erfolglos. Es gab eben nur einige Wenige, die sich im Hyperraum zurechtfanden, und das waren leicht mutierte Leute, die auf irgendeine Art für Krankheiten oder Gebrechen anfällig waren. So wie er selbst mit seiner plötzlich auftretenden akuten Leukämie.
Eine knappe Stunde später erfolgte der nächste Sprung.
Wieder tauchten sie in die unbegreifliche Sphäre ein, in die Dimension, die Trugbilder vorgaukelte oder normale Begriffe abstrakt und skurril werden ließ.
Weder für Stafford noch für die anderen änderte sich etwas. Jeder war auf seine Art im Bann des Unfassbaren. Und so sehr sich der Commander auch bemühte, alles nüchtern zu sehen, schaffte er es nicht. Sein logisch denkender Verstand setzte wieder aus, mit genau den gleichen Folgen wie beim ersten Hypersprung. Es gab so gut wie keinen Unterschied.
Stafford stöhnte unbewusst auf, als er mehr und mehr die Kontrolle über seinen Körper verlor und fremdartige Schattenwesen in der Zentrale erschienen.
Verzweifelt rief er sich die Parallel-Welten ins Gedächtnis zurück und hoffte, wenigstens einen kurzen Blick zu erhaschen. Doch die unbekannten mehrdimensionalen Wesen in der Zentrale ließen die Möglichkeit nicht zu. Er wurde von ihnen überrannt, bis sein Verstand nichts mehr akzeptierte.
Von da an wusste er nichts mehr und kam sich wie ein hilfloses Kind vor, für das alles fremd und unbegreiflich war.
Er konnte nicht einmal sagen, wie lange dieser Zustand anhielt, denn auch sein Zeitgefühl war verschwunden. Er schien irgendwie nicht mehr zu existieren.
Stafford vernahm wispernde Stimmen aus der Ewigkeit, ein auf- und abschwellendes Raunen und Murmeln, das keinen Sinn ergab. Ebenso wenig wusste er, dass er aufstand und sich an den Schattenwesen vorbei mühsam durch die Zentrale kämpfte.
Das Erwachen kam für alle wieder kurz und schmerzlos. Erst jetzt begriffen sie, dass der Raumer wieder etliche Lichtjahre in ganz kurzer Zeit überbrückt hatte.
Wieder war fast ein Jahr vergangen. An Bord der »Herakles« herrschte gähnende Langeweile. Stafford, Dr. Bonelli und Frank Beauregard kontrollierten gemeinsam die kryobiologische Abteilung und blieben nachdenklich vor den »Särgen« aus Kryobin stehen. Da lagen sie, eingehüllt in einen milchig schimmernden Eisblock, medizinisch gesehen so tot, wie man nur tot sein konnte. Fast die gesamte Crew befand sich seit einigen Monaten im Eisschlaf. Ihre Gesichter waren durch die Folie verschwommen zu erkennen. Alle hatten die Augen geschlossen und lagen friedlich da.
»Sie sind zu beneiden«, meinte Bonelli. »Theoretisch könnten sie Jahrtausende überdauern. Was soll ich mit Hather Torlan tun, Sir? Er will sich partout nicht einfrieren lassen. Er meint, ohne ihn würde die Biosphäre nicht mehr einwandfrei funktionieren. Ich glaube aber eher, dass er ganz einfach Angst hat, nicht mehr zu erwachen.«
Staffords Blick war ausdruckslos auf die beiden starren Frauen gerichtet. Sekundenlang hatte er das Gefühl, sie würden ewig so dahindämmern und niemals wieder erwachen.
»Wenn er nicht will, so ist das seine Sache. Ich zwinge niemanden dazu, sich in den Tiefschlaf zu begeben. Das sieht hier ja auch tatsächlich wie ein Totenreich aus«, schloss er sarkastisch.
Bonelli grinste dünn. Seine Blicke waren auf die Kontrolltafeln über den Schläfern gerichtet.
»Eines Tages«, sagte er bedächtig, »wird es ein Hypertriebwerk geben, das die Distanz in einem einzigen Sprung schafft
Weitere Kostenlose Bücher