Am Anfang eines neuen Tages
vielleicht – bitte, Herr, bitte!
Lizzie blieb neben Dolly, der Köchin, stehen und gemeinsam warteten sie gespannt darauf, wer aus der Staubkugel, die den Weg heraufrollte, auftauchen würde. „Wenn es Miz Eugenia ist“, sagte Dolly, „was wird sie dann sagen, wenn sie sieht, was die Yankees mit ihrem Haus gemacht haben?“
„Ich hoffe, sie gibt nicht uns die Schuld.“
„Natürlich wird sie uns die Schuld geben. Du weißt doch, wie sie ist.“
Lizzie hielt die Luft an, als die Kutsche um die sanfte Wegkurve polterte. Bitte, Herr! Dann – bildete sie sich das etwa ein? Nein, es war wirklich ihr Otis, der groß und gut aussehend auf dem Kutschbock saß! Ihre Knie wurden weich und sie sank ins Gras. Dann zog sie die Schürze über ihr Gesicht und weinte vor Erleichterung. Danke, Herr! Danke!
„Alles in Ordnung, Schätzchen?“, fragte Dolly und rieb ihren Rücken.
„Es ist Otis! Mein Otis ist wieder da!“ Ihre Schürze dämpfte ihre Stimme, während sie versuchte, ihre Emotionen zu beherrschen.
„Das ist er tatsächlich, Schätzchen. Und das bedeutet, dass Miz Eugenia und ihre Mädchen wahrscheinlich auch wieder da sind.“
„Mama! Mama!“, hörte Lizzie ihre Söhne hinter sich rufen, die von der Sklavenstraße heraufgerannt kamen. „Ist er hier, Mama? Ist Papa hier?“
Sie rappelte sich auf und packte ihre dünnen Arme gerade noch rechtzeitig, um den sechsjährigen Jack und den achtjährigen Rufus daran zu hindern, zu ihrem Vater zu laufen. „Stopp. Warte, Rufus, Liebling. Du musst warten.“ Lizzie wäre selbst am liebsten gleich in Otis’ Arme gelaufen und hätte ihn fest an sich gedrückt, aber erst würde er helfen müssen, alles auszuladen. Miz Eugenia hatte in dieser Kutsche einen ganzen Haufen Dinge nach Richmond mitgenommen. Lizzie wusste das, weil sie selbst geholfen hatte, alles einzupacken. Sie hatte hübsches Geschirr in Handtücher und Zeitungspapier gewickelt, damit es nicht zerbrach.
Miz Eugenias alter Kutscher Willy humpelte vom Stall herüber, um Otis zu helfen, während Lizzie aus der Entfernung zusah, Rufus und Jack immer noch fest im Griff. Sie waren so erpicht darauf loszulaufen wie Jagdhunde, die Witterung aufgenommen hatten. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die Männer alle Koffer und Kisten und Bilder und all die übrigen Dinge, die Miz Eugenia mitgenommen hatte, ins Haus gebracht hatten.
„Wir müssen jetzt wahrscheinlich helfen, alles wieder auszupacken“, murmelte Dolly.
„Sie wird froh sein, dass sie die Sachen nicht hiergelassen hat, sonst hätten die Yankees sie jetzt.“
„Froh? Schätzchen, sie findet immer etwas, worüber sie sich beschweren kann. Das wird auch diesmal nicht anders sein.“
Endlich waren die Weißen und ihr Hab und Gut wieder im Herrenhaus. Otis konnte die leere Kutsche zum Stall fahren, wo Lizzie und die Jungs auf ihn warteten. Nach all den Monaten der Trennung, nach all dem Warten und Bangen und Beten, lag Lizzie endlich wieder in seinen Armen. Otis hielt sie lange, lange fest. Dann wandte er sich an die Jungen, die an seinen zerlumpten Hosen zogen und seine Aufmerksamkeit erlangen wollten. Er hob Rufus auf einen Arm und Jack auf den anderen, als wögen sie überhaupt nichts.
„Du weinst ja, Papa!“ Rufus wischte die Tränen seines Vaters mit seiner dreckigen Hand fort, sodass er einen Schmutzstreifen auf Otis’ Wange hinterließ. „Warum bist du denn so traurig?“
„Ich weine, weil ich froh bin, nicht traurig. Seht euch nur eure Mama an, sie weint auch. Manchmal weinen Leute, wenn sie glücklich sind, wusstet ihr das nicht?“
Nein, das wussten Lizzies Jungs wahrscheinlich nicht. In dem Leben, das sie führten, gab es nicht viel, worüber sie froh sein konnten, weil sie immer arbeiteten und immer Hunger hatten. Dies war wahrscheinlich der glücklichste Tag ihres Lebens. Für Lizzie war es auf jeden Fall einer der schönsten Tage.
„Wo ist Roselle?“, fragte Otis und blickte sich um. Er setzte die Jungen auf den Boden und drehte sich um, damit er das Pferd von der Kutsche befreien und abzäumen konnte.
„Sie hat mit Cissy im großen Haus gearbeitet, bevor ihr gekommen seid. Miz Eugenia hat ihr bestimmt schon hundert Dinge zu tun gegeben.“ Aber Lizzie wusste, dass ihre Tochter nicht hier war, um Otis willkommen zu heißen, weil sie nicht die gleichen Gefühle für ihn hegte wie Rufus und Jack. Otis war ihr richtiger Daddy, aber er war nicht der Vater der fünfzehnjährigen Roselle.
Lizzie sah zu, wie ihr Mann
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