Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Anfang eines neuen Tages

Am Anfang eines neuen Tages

Titel: Am Anfang eines neuen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Austin
Vom Netzwerk:
das Büro für Freigelassene abgesehen. Jemand muss in die Stadt gehen und ihn warnen, dass er fliehen muss. Er muss sich verstecken!“
    Lizzie blickte sich um. Ihre Augen waren vor Angst weit aufgerissen, als sie flüsterte: „Kommen Sie rein, Missy Jo, damit niemand Sie hört.“ Sie öffnete die Tür weiter und Josephine betrat zum ersten Mal in ihrem Leben die Hütte eines Schwarzen. Lizzie schloss die Tür hinter ihr.
    In dem Haus, das aus einem einzigen Raum bestand, war es stickig und drückend und es roch nach Holzrauch und Schweiß. Lizzies Kinder lagen wie Holzstücke in einer Reihe auf dem Boden und es gab kein Moskitonetz, das sie beschützte. Josephine konnte das hohe Sirren der hungrigen Insekten hören und sah eine feine Wolke der winzigen Blutsauger über den Kindern tanzen.
    „Jetzt sagen Sie noch mal, was los ist, Missy.“
    Josephine erzählte ihr, was sie von der geflüsterten Unterhaltung mitbekommen hatte. „Bitte! Ihr müsst in die Stadt gehen und Mr Chandler warnen. Sie haben vor, ihn umzubringen!“
    Otis stöhnte wie ein Mann, der Schmerzen hat. Er schüttelte den Kopf. „Das geht nicht, Missy, wir können nicht. So gerne ich Ihnen helfen würde, aber Sie wissen doch, dass wir im Dunkeln nicht unterwegs sein dürfen. Es gibt eine Ausgangssperre für alle Schwarzen. Massa Daniel und seine Freunde werden mich ganz sicher aufknüpfen, wenn sie mich um diese Uhrzeit auf der Straße oder in der Stadt sehen.“
    Josephine hatte die Nachtwachen vergessen. Sie konnte von Otis nicht erwarten, dass er für einen Weißen sein Leben aufs Spiel setzte, auch wenn Alexander viel für die ehemaligen Sklaven getan hatte. Ihr kamen die Tränen. „Aber ich weiß nicht, was ich sonst tun soll! Sie werden ihn töten!“
    „Wann wollen sie es machen?“, fragte Lizzie.
    „Jetzt! Heute Nacht! Sie sind gerade dabei, alles zu planen. Jemand muss sie aufhalten!“
    „Dieser Jemand ist jedenfalls nicht mein Otis“, sagte Lizzie. Sie hakte sich bei ihm unter, als schließe sie eine Kette, und Jo erkannte an ihrem vorgeschobenen Kinn, dass sie niemals nachgeben würde. „Ich fände es eine Schande, wenn Massa Chandler was passiert, weil er ein guter Mensch ist. Aber wenn Otis oder jemand anders von uns versucht, ihn zu warnen, werden diese weißen Männer dasselbe mit ihnen machen, was sie mit ihm vorhaben. Otis geht nicht, das steht fest. Er hat eine Familie, für die er sorgen muss.“
    „Sie müssen selbst gehen, Missy Jo“, sagte Otis. „Ihnen werden die Männer nichts tun.“
    „Aber … aber ich kann nicht!“
    Lizzies Kinn schien sich noch weiter vorzuschieben. „Warum nicht?“
    „Ganz allein? I-ich habe zu viel Angst!“
    „Was meinen Sie, wie es uns geht?“, fragte Lizzie. „Wir haben jeden Tag unseres Lebens eine Todesangst.“
    Josephine sah Lizzie in die Augen – vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben – und erkannte die Panik, die sie hinter ihrem rauen Äußeren verbarg. Zweifellos dachte sie an die Verletzungen, die Otis bereits erlitten hatte.
    „Wir haben nicht viel Zeit“, sagte Otis. „Wenn die Männer es vor Sonnenaufgang tun wollen, müssen Sie sich beeilen. Haben sie Pferde?“
    „Ja.“
    „Dann ist es das Beste, wenn Sie die Abkürzung durch den Wald nehmen.“
    Daniel zufolge lagerte immer noch eine Bande gefährlicher, obdachloser Schwarzer draußen im Wald, trotz der Bemühungen der Patrouillen, sie zu vertreiben. Josephine fröstelte und schüttelte den Kopf. „Diese Wälder sind für eine weiße Frau zu gefährlich, selbst tagsüber.“
    Otis sah seine Frau an, die erst zögerte, dann aber schließlich nickte. Langsam zog er seinen Arm aus ihrer Umklammerung. „Bis dahin gehe ich mit Ihnen, Missy Josephine, aber ich kann nicht nach Fairmont oder auf die Straße gehen. Tut mir leid.“
    Jo konnte kaum atmen. Was sie vorhatten, war für sie beide äußerst gefährlich. Am liebsten wäre sie in ihr Zimmer zurückgerannt, ins Bett gestiegen und hätte sich eingeredet, dass dies alles nur ein böser Traum gewesen war. Aber sie konnte nicht tatenlos zusehen, wie sie Alexander umbrachten. Dann wäre sie ebenso schuldig wie Daniel und die anderen.
    Otis zog sein Hemd und seine löchrigen Schuhe an und traf die Entscheidung für sie. „Gehen wir, Missy Josephine.“
    Die Nacht war so dunkel und der Wald so dicht, dass sie kaum sehen konnte, wohin sie trat. Josephine konnte sich nicht erinnern, jemals solche Angst gehabt zu haben. Sie fürchtete sich nicht nur vor dem

Weitere Kostenlose Bücher