Am Anfang eines neuen Tages
Bahnhof.“
Sie blickte zu ihm auf und wünschte, sie könnte ihn überreden, sie zu begleiten. Tränen brannten in ihrer Kehle. Otis streckte die Hand aus und legte sie sacht auf ihren Kopf, dann schloss er die Augen. „Herr, bitte pass auf Missy Josephine auf und leite sie auf dem restlichen Weg. Hilf ihr, vor den Männern anzukommen. Und Herr, bitte pass auch auf Mr Chandler auf. Amen.“ Er öffnete die Augen und zog seine Hand fort. „Sie schaffen das, Missy Jo. Der liebe Gott passt auf Sie auf.“
„Danke, Otis.“ Sie krallte die Hände in den Stoff ihres Rocks und hob den Saum an, damit sie nicht fiel, und dann lief sie los, so schnell es ihr im Dunkeln möglich war, den Blick immer sorgfältig auf den Pfad gerichtet. Sie war noch nicht lange gelaufen, als sie einen stechenden Schmerz in der Seite spürte, aber sie ignorierte ihn und rannte weiter. Die Pferde konnten die Strecke nach Fairmont viel schneller zurücklegen als sie, selbst mit Otis’ Abkürzung.
Als Josephine endlich den Bahndamm sah, war sie völlig außer Atem. Sie stolperte den Hang hinauf und lief entlang der Schienen auf die Stadt zu. Otis hatte nicht gesagt, wie lange sie an den Gleisen entlanggehen musste, aber irgendwann bog sie um eine Kurve und erblickte in der Ferne die Silhouette des Kirchturms und die Umrisse von Häusern, darunter auch das längliche, niedrige Dach des Bahnhofs. Dahinter stand ein kleines, zweigeschossiges Steingebäude.
Josephine rutschte den Bahndamm hinunter in den Graben neben den Schienen und hielt einen Augenblick inne, während sie nach Luft schnappte. Sie lauschte, wie Otis es getan hatte, ob sie das Geräusch von Pferdehufen hörte, während sie den Schotter aus ihren Schuhen leerte. Es war schwierig, überhaupt etwas zu hören, weil ihr Herz so hämmerte und ihr Atem keuchend ging. Sie wartete, bis sie sich sicher war, dass von ihrem Bruder und den anderen nichts zu sehen war, dann stand sie auf und rannte über die Wiese zum Büro für Freigelassene. Durch den Brand konnte Alexander die Hintertür nicht mehr abschließen und so stürmte sie ungehindert ins Haus, wobei sie den verkohlten Trümmern auswich. Daniel konnte ebenso einfach eindringen.
Sie tastete sich durch den schmalen Gang, ohne darauf zu warten, dass ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten, bis sie zu einer Treppe kam, die nach oben führte. „Alexander!“, rief sie zu ihm hinauf. „Alexander, wachen Sie auf!“ Sie war so außer Atem und so verängstigt, dass sie die Worte kaum herausbrachte. Sie hämmerte an die Wand des Treppenaufgangs und betete, dass er sie hören würde. Ihr Bruder und die anderen konnten sie wahrscheinlich auch hören, falls sie bereits draußen waren, aber wenigstens könnte Alexander sich verteidigen, wenn er erst einmal wach war. „Alexander! Bitte wachen Sie auf!“
Waren die Männer doch schneller gewesen? War er schon tot? Sie ging die ersten Stufen hinauf, während sie mit beiden Fäusten gegen die Wand trommelte und seinen Namen rief. Endlich hörte sie über sich ein Poltern und Rascheln und dann eine Stimme, die fragte: „Wer ist da?“
Jo sank vor Erleichterung auf eine Stufe. „Alexander, ich bin es – Josephine. Sie müssen aufstehen! Es ist ein Notfall!“ Er erschien auf dem Treppenabsatz und sah sie verschlafen an. Seine Hose hatte er angezogen, aber er trug weder Schuhe noch Hemd.
„Josephine! Was machen Sie hier? Was ist los?“
„Sie kommen, um Sie zu töten! Sie müssen fliehen! Jetzt!“
„Was? … Wer kommt?“ Er sah aus, als wäre er noch nicht ganz wach, und sie sah, dass ihre Worte für ihn keinen Sinn ergaben.
„Wir haben keine Zeit für Erklärungen. Holen Sie Ihr Gewehr und Ihre Schuhe und laufen Sie!“
„Ich habe kein Gewehr. Lassen Sie mich Licht machen –“
„Nein!“, rief sie, als er sich umdrehte, um wieder ins Schlafzimmer zu gehen. „Kein Licht! Sie müssen fliehen! Sofort!“ Vollkommen verwirrt und verschlafen starrte Alexander sie an und in dem Augenblick, in dem sie beide schwiegen, glaubte Josephine das leise Wiehern eines Pferdes zu hören. Sie rannte die Treppe hinauf und packte seinen Arm, um ihn mit sich zu ziehen. „Bitte, Alexander! Sie kommen und wollen Sie umbringen und Ihr Büro anzünden. Die Männer sind schon auf dem Weg. Sie können jeden Augenblick hier sein. Sie müssen fliehen! Bevor es zu spät ist!“ Die Tränen, die sie in seiner Gegenwart bisher zurückgehalten hatte, liefen ihr jetzt über die Wangen.
Er starrte
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