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Am Anfang eines neuen Tages

Am Anfang eines neuen Tages

Titel: Am Anfang eines neuen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Austin
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lesen willst.“
    „Will ich nicht. Warum sollte ich Artikel über eine Welt lesen, zu der ich nie wieder gehören werde?“
    „Ist es das, was du beschlossen hast? Dass du dich von der Außenwelt abkapseln willst?“ Es sah Josephine gar nicht ähnlich, so direkt zu sein, aber ihre Gedanken waren wie die Zimmer im Obergeschoss viel zu lange zugeschlossen und ungelüftet gewesen. Wenn Harrison geradeheraus sein konnte, konnte sie es auch.
    „Was bleibt mir denn anderes übrig?“, schrie er. „Sieh mich doch an! Wie soll ich denn ein normales Leben führen?“
    Sie holte tief Luft und nahm all ihren Mut zusammen. „Ich habe neulich gehört, wie Dr. Hunter sagte, dass dir nichts fehlt.“
    „Der Doktor ist ein Dummkopf, der noch zwei funktionierende Beine hat! Sieh mich doch an!“ Er schlug die Bettdecke zurück, um ihr seinen hässlichen Beinstumpf zu zeigen, der oberhalb des Knies endete. Er ähnelte einem rohen Stück Fleisch, vernarbt und dunkelrot. „Sieht das vielleicht so aus, als würde mir nichts fehlen?“
    Josephine wandte schockiert den Blick ab. Aber gleich darauf sah sie Harrison wieder in die Augen, nicht gewillt, sich geschlagen zu geben. „Du bist nicht der einzige Mann, der schwer verwundet wurde. Wenn du wolltest, könntest du Arbeiter einstellen, die den Boden bewirtschaften und deine Plantage wieder in Gang bringen.“
    „Bist du wirklich so dumm? Ich habe keine Sklaven, die das machen können, und kein Geld, um Arbeiter zu bezahlen. Ich habe alles verloren!“
    „Niemand hat Sklaven, Harrison. Aber wir müssen trotzdem etwas anbauen, damit wir nicht verhungern. Ich habe mit dem Agenten des neuen Regierungsbüros in Fairmont gesprochen. Er kommt im Laufe der Woche her, um dir zu erklären, was –“
    „Du hast wirklich Nerven. Verschwinde aus meinem Haus! Raus!“ Er stieß das Tablett von seinem Nachttisch, sodass die Teetasse zersprang, und griff dann nach einem Buch, das er ihr an den Kopf warf. Josephine duckte sich gerade noch rechtzeitig. Noch nie in ihrem Leben war sie so behandelt worden. Einerseits wäre sie am liebsten zur Tür hinausgelaufen und nie mehr wiedergekommen, aber andererseits war sie es leid, von Angst getrieben zu werden, und sie war wütend genug, um sich zu wehren. Sie hob das Buch auf und warf es zurück, wobei sie seinen Kopf nur um wenige Zentimeter verfehlte. Das Buch donnerte gegen die Wand und fiel zu Boden.
    „Da! Wie gefällt dir das?“ Er funkelte sie an und seine Miene war so dunkel und tief wie ein Brunnen. Sie wusste nicht, warum sie plötzlich keine Angst mehr vor ihm hatte, aber so war es. „Wollen wir mit dieser Werferei weitermachen oder willst du dich mir gegenüber anständig benehmen?“
    „Geh nach Hause, dummes Kind. Ich will dich hier nicht.“
    Josephine schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht wegen dir hier. Ich bin wegen deiner Mutter hier. Du hast es vielleicht verdient, ganz alleine zu sein, aber sie nicht.“
    „Meine Mutter wäre ohne mich besser dran.“
    „Was für eine dumme, selbstsüchtige Bemerkung!“ Sie trat näher an sein Bett und senkte die Stimme, damit seine Mutter sie nicht hören konnte. „Hast du dir jemals Gedanken über ihre Gefühle gemacht? Du hast mir gerade erzählt, dass du alles verloren hast, aber das hat sie auch, Harrison. Du bist alles, was sie noch hat, und ich glaube nicht, dass sie noch einen Verlust verkraften würde. Du bist die einzige Erinnerung, die ihr an deinen Vater geblieben ist und an das Leben, das sie kannte. Es ist mir egal, wie schlecht es dir geht, aber du könntest wenigstens um ihretwillen versuchen, dir dein Leben neu aufzubauen.“
    Josephine wandte sich um und verließ das Zimmer. Sie zitterte so heftig, dass sie sich setzen musste, aber ihr Ausbruch hatte sie erleichtert, so wie ein Gewitter an einem schwülen Sommertag die Luft reinigt, sodass alle wieder atmen können. Zu lange hatte sie ihre Gefühle in sich hineingefressen. Jetzt hatte sie endlich ihre Stimme wiedergefunden. Und dafür war sie dankbar.

Kapitel 11

    17. Mai 1865

    Eugenia fuhr mit der Hand über das Geländer, während sie die Treppe ins Foyer hinabstieg. Das Holz war knochentrocken. Die Geländerstreben und der Handlauf aus Mahagoni mussten geölt und poliert werden, sonst würden sie spröde und splitterten in der Sommerhitze. Das Gleiche galt für die Möbel im Salon, die unter so dicken Staubschichten verschwanden, dass Eugenia jedes Mal niesen musste, wenn sie das Zimmer betrat. Die Böden unter

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