Am Anfang eines neuen Tages
Jo immer zurückgezogen und still gewesen war. Sie war vom Wesen her so anders als Eugenia, dass sie sich manchmal fragte, ob die Hebamme ihre richtige Tochter bei der Geburt mit einem anderen Kind vertauscht hatte.
Als Mary sich einige Minuten später zu Eugenia in den Vormittagssalon gesellte, hatte der Schmerz in ihrer Brust nachgelassen. „Was sollen wir heute tun, Mutter?“
Sollte sie Mary bitten, im Haushalt zu helfen oder Gartenarbeit zu verrichten, wie Josephine es getan hatte? Vielleicht könnte Lizzie ihr ein paar einfache Tätigkeiten beibringen wie die Möbel abzustauben oder das Holz zu polieren. Aber nein, es würde viel schwieriger, einen geeigneten Mann für Mary zu finden, wenn sie von der Arbeit schwielige Hände hatte oder Haut, die von der Sonne gebräunt war. Eugenia zwang sich, nicht an die Zukunft zu denken, weil sie wusste, dass der Schmerz dann von Neuem beginnen würde.
„Ich glaube, wir besuchen heute Priscilla und sehen nach, wie sie und Josephine zurechtkommen.“
Mary schnitt eine Grimasse. „Muss ich mitkommen?“
„Mir gefällt dein jammernder Tonfall nicht, Mary Louise. Du musst lernen, um etwas zu bitten, ohne zu jammern.“
„Bitte, Mutter, ich würde lieber hierbleiben.“
Eugenia konnte es ihr nicht verübeln. Wenn Harrison eine seiner Launen hatte, konnte er ziemlich unleidlich sein und genau genommen konnte Eugenia sich an keinen Besuch erinnern, bei dem er nicht unleidlich gewesen wäre. „Du kannst zu Hause bleiben, aber du musst mir versprechen zu lernen, während ich fort bin.“ Der Krieg hatte Eugenia gezwungen, ihre Tochter selbst zu unterrichten, da sie sich keinen Privatlehrer mehr leisten konnten.
„Ich verspreche, dass ich fleißig lernen werde. Bitte, Mutter?“
„Also gut. Sei so lieb und sag Daniel, dass ich die Kutsche und einen Fahrer brauche.“
Otis fuhr Eugenia das kurze Stück zu Priscillas Haus. „Bitte komm vor dem Mittagessen wieder, um mich abzuholen“, sagte sie zu ihm.
An dem Pfosten war bereits ein anderes Pferd angebunden, als Eugenia auf der Plantage der Blakes ankam. „Störe ich?“, fragte sie, als Priscilla ihr öffnete. „Hast du Besuch? Soll ich ein anderes Mal wiederkommen?“
„Nein, bitte komm herein. Ich brauche deine Hilfe, Eugenia. Ich weiß nicht, was ich tun soll.“
Eugenia stand noch immer vor der Tür, als sie hörte, wie Harrison jemanden in seinem Zimmer mit lauter Stimme anschrie.
„Es tut mir leid … es tut mir schrecklich leid“, sagte Priscilla und blickte in seine Richtung. „Du solltest nicht Zeugin eines solchen Aufstands werden, Eugenia, aber –“
„Was ist denn los? Wer ist hier?“
„Ein Herr von einer Regierungsagentur in der Stadt. Josephine hat ihn eingeladen, damit er mit Harrison darüber spricht, wie er Hilfe für die Plantage bekommen kann, aber –“
„Raus!“ Harrisons wütender Aufschrei unterbrach sie, gefolgt von dem Klang von zerbrechendem Glas. Gleich darauf kam Josephine aus dem Schlafzimmer und hinter ihr ein großer junger Mann. Er wirkte erschüttert.
„Es tut mir furchtbar leid, Mr Chandler“, sagte Josephine, als sie den Gang hinunter auf Eugenia zukamen, „aber wenn Harrison Ihnen nicht zuhören will, dann sollten Sie vielleicht versuchen, Mrs Blake und mir alles zu erklären. Wie Sie sehen können, braucht sie dringend Hilfe und … Oh, hallo Mutter.“
Josephine stellte Eugenia Mr Chandler vor und erklärte, dass er ein Vertreter des Amts für Flüchtlinge, Freigelassene und brachliegende Ländereien sei. Er sah viel zu jung und unerfahren aus, um eine Regierungsposition innezuhaben. Was dachten die Yankees sich nur dabei, ihnen jemanden so junges zu schicken? Glaubten sie, die Plantagenbesitzer wären alle ungebildete Hinterwäldler?
„Es freut mich, Sie kennenzulernen, Mrs Weatherly.“ Der Mann streckte seine Hand aus, aber Eugenia ignorierte sie. Sie konnte es Harrison nicht verübeln, dass er ihn hinausgeworfen hatte. Was war nur mit Josephine los, dass sie ihn hierher eingeladen hatte? Wenn dies Eugenias Haus gewesen wäre, hätte sie ihn auf der Stelle aufgefordert zu gehen, aber das konnte sie natürlich nicht. Sie war Priscillas Gast. Und dies war weder der richtige Ort noch der richtige Zeitpunkt, ihre Tochter zu tadeln.
Eugenia setzte sich mit den anderen in den Salon und hörte mit halbem Ohr zu, wie der Yankee erklärte, dass Plantagenbesitzer ihre Arbeitskräfte wiederbekommen konnten, indem sie die Schwarzen als Farmpächter
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