Am Anfang eines neuen Tages
ihren Füßen fühlten sich sandig an. Die Dielen waren seit einer Ewigkeit nicht mehr geschrubbt und gewachst, die wenigen übrig gebliebenen Teppiche nicht ausgeklopft und die Vorhänge und Federbetten nicht gelüftet worden. Spinnweben hingen von der Stuckrosette über ihrem Kopf. Eugenia musste zusehen, wie ihr einst schönes Heim um sie herum zerfiel, und fühlte sich vollkommen hilflos.
Der Verfall war nicht nur im Haus zu sehen. Als Eugenia in den Vormittagssalon trat und durch die schmutzigen Fensterscheiben blickte, konnte sie auf den Feldern in der Ferne das Unkraut wachsen sehen anstatt Baumwolle. Die Nebengebäude benötigten dringend einen Anstrich und einige Reparaturen, und der Gemüsegarten müsste ordentlich gewässert und gepflegt werden, wenn ihre Familie jemals wieder eine anständige Mahlzeit zu sich nehmen sollte. Sie war erst vor einer Stunde vom Frühstückstisch aufgestanden, aber das Magengrummeln war inzwischen ständiger Begleiter. Ihre Töchter sahen genauso dürr aus wie Feldarbeiterinnen.
Sie nahm die gerahmte Fotografie von Philip in die Hand, die auf ihrem Schreibtisch stand, und betrachtete sein attraktives Gesicht. Manchmal, wenn sie ihn ansah, konnte sie beinahe eine Melodie aus glücklicheren Tagen im Hintergrund vernehmen, einen Walzer, den sie einmal gemeinsam getanzt hatten, oder Musik aus einem Konzert, das sie zusammen in Richmond besucht hatten. Aber heute hörte sie keine Musik, als sie sein Bild anstarrte. Stattdessen spürte sie, wie sie eine Welle der Wut überrollte, weil er sie im Stich gelassen hatte. Sie legte das Foto verdeckt auf den Tisch.
Während der ersten Kriegsjahre hatte Philip Eugenias Welt zusammengehalten, hatte die Plantage geführt, die Schwarzen an der Arbeit gehalten, die Konföderation unterstützt, indem er Geld und Vorräte gespendet hatte. Er war nicht fortgegangen, um mitzukämpfen, bis der Krieg gefährlich nah an ihr Land herangekrochen war und alle Männer seines Alters zur Verteidigung der Heimatfront in die Reservearmee eingezogen worden waren. Am Ende war er nicht in der Schlacht gefallen, sondern während des letzten langen Kriegswinters an Lungenentzündung gestorben. Einen Monat später waren die Yankees gekommen und sie war gezwungen gewesen, nach Richmond zu fliehen. Seither kamen sie und ihre Familie gerade so zurecht und überlebten nur dank eines versteckten Geldvorrats, den Philip klugerweise zurückgelassen hatte.
Eugenia war so erleichtert gewesen, als Daniel vor drei Wochen nach Hause gekommen war, denn sie war sich sicher gewesen, dass er für sie alle sorgen würde. Aber wenn sie sah, wie er mit schleppenden Schritten und hängenden Schultern über die Plantage lief, wurde ihr bewusst, dass der Krieg etwas Entscheidendes in ihm getötet hatte. Er hatte keine Ahnung, was er tun sollte oder wo er mit dem Wiederaufbau ihrer Plantage anfangen sollte. Seine Depression und sein Mangel an Initiative machten Eugenia mehr Angst, als die Yankees es getan hatten. Was sollte sie nur tun?
Sie trat vom Fenster zurück und stolperte über ihren Sessel, während sie spürte, wie sich der vertraute Druck in ihrem Brustkorb bildete. Manchmal stieg Übelkeit in ihr auf, bis sie nicht mehr atmen konnte. Eugenia hatte niemandem von diesen „Anfällen“ erzählt, die sie hatte. Warum sollte sie ihnen noch mehr Grund zur Sorge geben? Wenn sie sich ein paar Minuten hinsetzte und sich von ihren Problemen ablenkte, indem sie ein wenig Tee trank, der sie beruhigte, dann würde der Schmerz wieder abebben. Sie läutete die Glocke neben ihrem Sessel und schloss die Augen, während sie darauf wartete, dass Lizzie erschien. Als sie die schlurfenden Schritte des Dienstmädchens hörte, schlug sie die Augen wieder auf.
„Ja, Ma’am?“ Lizzies gekränkter Tonfall und die ungeduldige Haltung steigerten den Druck in Eugenias Brust.
„Ich hätte gerne eine Tasse Tee, Lizzie. Sei so gut und nimm ein paar von den Minzblättern, die Josephine gepflückt und getrocknet hat.“
„Ja, Ma’am.“ Lizzie schlenderte davon. Ihre Verärgerung war offensichtlich.
Der Tee half Eugenia, sich zu beruhigen, und der hübsche Strauß Apfelblüten, den Josephine in eine Vase auf ihren Schreibtisch gestellt hatte, munterte sie ein wenig auf. Eugenia hatte gar nicht bemerkt, wie viel Josephine im Haus gemacht hatte und wie sehr sie alle von ihr abhängig gewesen waren, bis sie vor vier Tagen zu Priscilla und Harrison gezogen war. Ohne sie wirkte das Haus leer, obwohl
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