Am Anfang eines neuen Tages
meinen Gürtel aufmachen und herausziehen.“ Es war eine unerhörte Bitte. Als sie sich nicht rührte, sagte er: „Bitte, wir müssen den Arm abbinden, um die Blutung zu stillen. Sonst könnte er verbluten.“ Beide Männer waren jetzt blutüberströmt, genau wie Jos Hände und Kleid. „Beeilen Sie sich!“, flehte er.
Sie zwang sich dazu, sich zu bewegen, und hockte sich neben Mr Chandler, der auf dem Bett kniete. Die Schnalle war mit zitternden Fingern und klebrigen Händen nicht so einfach zu öffnen, aber schließlich gelang es ihr, den Gürtel durch die Schlaufen zu ziehen. Die ganze Zeit stöhnte und knurrte Harrison wie ein tollwütiges Tier und fluchte und kämpfte.
„Schlingen Sie den Gürtel um seinen Arm und ziehen Sie ihn zu, Miss Weatherly … Gut. Ziehen Sie ganz fest … Fester!“
Endlich schien die Blutung nachzulassen. „Gut … gut“, sagte Mr Chandler beruhigend. „Und jetzt sehen Sie nach, ob Sie etwas finden können, das wir als Seil benutzen können. Gibt es hier irgendwo eine Krawatte oder noch einen Gürtel?“ Jo entdeckte Harrisons Morgenmantel und zog den Gürtel heraus. Mr Chandler gab ihr Anweisungen, wie sie Harrisons unverletzten Arm am Bettpfosten festbinden sollte, während er weiter beide Arme festhielt. Harrison schlug nicht mehr um sich. Er schien von dem Blutverlust geschwächt zu sein, aber er knurrte und fluchte immer noch. Sein Blut war überall hingespritzt und hatte die Laken durchweicht. Josephines Kleid und die Bettdecke waren höchstwahrscheinlich nicht mehr zu retten.
„Wenn Sie etwas finden würden, womit wir seinen anderen Arm festbinden könnten, Miss Weatherly, kann ich nach Fairmont zurückreiten und den Arzt holen.“
„Ja … natürlich.“ Josephine stolperte aus dem Zimmer und griff nach dem erstbesten Gegenstand, den sie sah – die Kordel der Wohnzimmervorhänge. Zwei Dienstmädchen, Beulah und Mable, standen im Flur und rissen verängstigt die Augen auf, als sie sie sahen.
„Ist alles in Ordnung, Missy Josephine?“, fragte Mable. „Brauchen Sie Hilfe?“
„Ich … ich komme schon klar. Das ist nicht mein Blut.“ Sie eilte ins Schlafzimmer zurück und sah wie benommen zu, wie Mr Chandler auch Harrisons anderen Arm am Bettpfosten festband. Als er sicher war, dass die Fesseln halten würden, legte er einen Augenblick lang die Hände auf Josephines Schultern, so als wollte er sie beruhigen.
„Sie bleiben besser hier und passen auf ihn auf. Ich komme wieder, so schnell ich kann. Und achten Sie darauf, dass die Aderpresse fest sitzen bleibt.“ Jo hörte, wie die Haustür sich schloss, und dann das Geräusch des davongaloppierenden Pferdes. Sie sank auf die Bettkante, weil ihre Knie sie nicht länger trugen. Harrison zerrte einen Moment lang an seinen Fesseln, als wollte er sie testen, dann lag er still. Er sah aus wie eine Leiche. So würde er auch aussehen, wenn er in seinem Sarg lag, dachte sie. Genau so.
Jetzt, wo sie saß, wurde Josephine der pulsierende Schmerz in ihrem verletzten Finger bewusst. Die Wunde blutete noch immer. Sie steckte den Finger in ihren Mund und schmeckte das Blut, dann zog sie ihn wieder heraus und wickelte ihn fest in eine Falte ihres Rockes. Während der Schock allmählich nachließ, stieg Wut in ihr auf.
„Warum machst du so etwas Dummes?“, fragte sie Harrison.
„Was glaubst du denn?“ Er funkelte sie lange an, bevor er den Blick abwandte. „Ich hätte es schon längst getan, aber ich wollte nicht, dass meine Mutter diejenige ist, die mich findet.“
„Du dummer … selbstsüchtiger … egoistischer Mann!“
„Du hast ja keine Ahnung, wie es ist, alles zu verlieren.“
„Oh doch, die habe ich sehr wohl! Falls es dir nicht aufgefallen ist, haben deine Mutter und ich und alle anderen in Virginia ebenfalls Verluste erlitten. Wir mussten lernen, uns ein neues Leben aufzubauen und uns anzupassen, und du kannst das auch.“
„Ich habe nichts, wofür es sich zu leben lohnt.“
„Du könntest jede Menge haben, wofür es sich zu leben lohnt – deine Plantage, dein Haus, eine Verlobte, die dich geliebt hat. Es ist deine eigene Schuld, dass du Emma verloren hast.“
„Ich konnte ihr nichts bieten.“
„Weißt du was? Ich bin es leid, dir zuzuhören. Wann hörst du endlich auf, alles aus deinem eigenen egoistischen Blickwinkel zu sehen, und fängst zur Abwechslung mal an, an jemand anders zu denken? Die Yankees mussten dich gar nicht töten, so wie sie meinen Bruder getötet haben. Du schaffst das
Weitere Kostenlose Bücher