Am Anfang eines neuen Tages
gefahren.“
„Alleine?“
„Sie hat jetzt einen Kutscher.“
„Was macht sie in Richmond? Ich dachte, die Stadt wäre abgebrannt.“
„Nicht ganz. Sie wollte es dir nicht vorher sagen, weil sie Sorge hatte, du würdest dich aufregen, aber da dich in letzter Zeit ohnehin alles aufregt, kannst du genauso gut gleich die Wahrheit erfahren. Sie spricht mit deinem Bankier über einen Kredit. Sie braucht Geld, um mit dem Pflanzen anfangen zu können und um Maultiere und andere Farmtiere zu kaufen.“
Harrison senkte den Kopf und schloss die Augen. Als sie zusah, wie er mit seinen Gefühlen kämpfte, tat er ihr direkt leid. Für einen Mann wie Harrison, der es gewohnt war, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, musste es eine Katastrophe sein, die Kontrolle zu verlieren und hilflos dazuliegen, während andere die Entscheidungen trafen. Sie wartete auf Harrisons wütende Reaktion und rechnete damit, dass er das Tablett mit dem Essen auf den Boden oder ihr an den Kopf werfen würde. Aber er saß nur mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern da, die Augen geschlossen.
„Es tut mir leid, Harrison“, sagte sie leise. Und das stimmte. „Dr. Hunter hat gesagt, dass er dir hilft, mit Krücken zu laufen. Wenn du jeden Tag ein bisschen übst, wirst du irgendwann kräftiger. Es gibt keinen Grund, warum du bettlägerig bleiben musst. Wenn du dich dazu entschlossen hättest aufzustehen, hättest du sogar mit deiner Mutter nach Richmond fahren können.“ Sie hielt erneut inne und wartete auf seine Reaktion, auf den Wutausbruch, der mit Sicherheit kommen würde. Er blieb so lange still und reglos sitzen, dass sie irgendwann sagte: „Harrison? Ist alles in Ordnung?“
Er sah sie an. Seine Miene war heiter und seine dunklen Augen glänzten. Sie versuchte zu lesen, was sie in diesen Augen sah, aber es gelang ihr nicht. „Du hast recht“, sagte er leise. „Ich muss mich ändern.“
Schockiert starrte sie ihn an. War sie endlich zu ihm durchgedrungen? Wie war das möglich, wo doch weder seine Mutter noch seine Verlobte das geschafft hatten? „I-ich bin froh, dass du das so siehst“, sagte sie. Sie zwang sich zu lächeln.
„Ich glaube, ich fange damit an, dass ich mir diesen Bart abrasiere.“ Er fuhr sich mit der knochigen Hand übers Gesicht. Seine Haare und sein Bart waren inzwischen lang und ungepflegt, was ihn noch furchterregender aussehen ließ. „Das Wetter wird wärmer und es wird jucken, wenn ich mich nicht rasiere.“
„Soll ich jemanden holen, der dir hilft?“ Sie war noch immer ganz fassungslos angesichts der plötzlichen Veränderung, die in ihm vorgegangen war.
„Nein! Das ist nicht nötig.“ Er antwortete schnell, fast grob, dann seufzte er und seine Stimme klang wieder weicher. „Tut mir leid. Aber du hast recht. Ich sollte mich nicht immer auf andere verlassen. Wenn du mir mein Rasiermesser und die Seife bringst, dann schaffe ich das schon. Alles, was ich brauche, ist mein Beutel. Bring mir den einfach. Ich glaube, Mutter hat ihn oben in mein Zimmer getan.“
„Brauchst du nicht auch Spiegel und Wasser?“
Er nickte und wandte den Kopf ab, um aus dem Fenster zu sehen. Wie frustrierend musste es für ihn gewesen sein, in den vergangenen Monaten mit anzusehen, wie seine Plantage zuwucherte. Jetzt, wo die Arbeiter wieder da waren, würde er bald einen Ausblick auf wachsende und blühende Baumwollpflanzen haben.
Josephine eilte nach oben und entdeckte ein Rasiermesser und einen Lederriemen in dem abgewetzten Beutel, den er den ganzen Krieg über bei sich getragen hatte. Seife war keine darin, also nahm sie ein Stück vom Waschbecken in ihrem Zimmer und dazu ihren eigenen Handspiegel und trug alles zu ihm hinunter. „Soll ich den Spiegel für dich halten?“, fragte sie, nachdem eins der Dienstmädchen ihr die Schüssel mit dem Wasser gebracht hatte, um die sie gebeten hatte.
„Nein, danke, Josephine. Bitte lass mich allein.“ Soweit sie sich erinnern konnte, war es das erste Mal, dass er sie freundlich um etwas gebeten und Bitte gesagt hatte. Er lächelte sogar ein wenig. Wenn diese Veränderungen nur anhielten. Vielleicht würde Harrison ja tatsächlich anfangen, nach vorne zu blicken.
Sie erwiderte sein Lächeln und tat, worum er sie gebeten hatte. Als sie das Zimmer verließ, schloss sie die Tür hinter sich. Sie war gerade nach draußen gegangen, um sich auf die Veranda vor dem Haus zu setzen, als Mr Chandler angeritten kam.
„Guten Morgen, Miss Weatherly.“ Er zog seinen Hut vom
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