Am Anfang eines neuen Tages
dem rostigen Tor quietschten laut, als sie es öffnete und schloss. Im Schatten unter den Bäumen fühlte sich die Luft deutlich kühler an und sie zog ihr Umschlagtuch fester um ihre Schultern.
Einige der Gräber waren hundert Jahre alt oder noch älter und die Grabinschriften auf den Steinen kaum noch leserlich, nachdem sie ein Jahrhundert lang Wind und Regen ausgesetzt gewesen waren. Aber es gab viel zu viele neue Gräber, alles Kriegsopfer. Jo wusste, dass für jeden Soldaten, der hier begraben war, zwei oder drei weitere junge Männer auf Friedhöfen weit entfernt von der Heimat beerdigt worden waren, die nie zurückkehren würden. Sie folgte dem Weg zum Grab ihrer Familie, in dem ihr Vater und Samuel neben drei Generationen von Weatherlys begraben lagen. Sie setzte sich auf Großvater Weatherlys blockartigen Grabstein, den Rücken der Kirche zugewandt, und wartete darauf, dass der Gottesdienst endete.
Sie saß erst wenige Minuten dort, als sie hörte, wie das Friedhofstor quietschend geöffnet und wieder geschlossen wurde. Jo drehte sich nicht um, weil sie hoffte, wer auch immer es war, würde genug gesunden Menschenverstand besitzen, um ihre Trauer zu respektieren und sie in Ruhe zu lassen. Sie wollte mit niemandem reden oder erklären müssen, warum sie die Kirche verlassen hatte. Während sie abwartete, hielt sie die Luft an.
„Ist alles in Ordnung, Miss Weatherly?“
Jo atmete frustriert aus, als sie die Stimme hinter sich erkannte. Es war der Yankee. Sie hatte ihn an der hinteren Wand lehnen sehen, als sie aus der Kirche gestürmt war. Er hatte sie angesehen, als sie an ihm vorbeigelaufen war.
„Es geht mir gut“, log sie. „Ich brauchte nur frische Luft, das ist alles.“ Er antwortete nicht, aber sie spürte, dass er immer noch dort stand, ein kleines Stück entfernt. „Ich möchte gerne allein sein.“ Stattdessen hörte sie, wie er näher kam. Neben ihr blieb er stehen und hockte sich hin. Er trug einen schlichten schwarzen Anzug und ein weißes Hemd anstelle seiner Yankeeuniform. „Haben Sie mich nicht gehört? Ich habe gesagt, dass ich allein sein möchte.“
„Ich weiß. Das sagen die Leute immer, wenn sie unbedingt jemanden brauchen, mit dem sie reden können.“
„Bitte gehen Sie, Mr Chandler.“ Aber sie sagte es leise, ohne Überzeugung.
Er fasste das als Einladung auf und setzte sich im Schneidersitz vor ihr ins Gras. „Sie haben versprochen, mich Alexander zu nennen, erinnern Sie sich?“
„Ich bin hierhergekommen, um allein zu sein … Alexander.“
„Als ich anfangs aus dem Krieg zurückkam, konnte ich es auch nicht ertragen, in die Kirche zu gehen. Es fühlte sich an, als hätte ich nicht das Recht, dort zu sein und zu Gott zu beten. Ich hatte sein Gebot ‚Du sollst nicht töten’ gebrochen und gegen alle Grundsätze meines Glaubens verstoßen, indem ich zur Waffe gegriffen hatte. Bestimmt würde Gott mich nicht mehr sehen wollen, nachdem ich seine Regeln gebrochen hatte. Und ich fühlte mich daheim in meiner Gemeinde auch nicht mehr willkommen. Aber wie Sie sehen, habe ich doch irgendwann wieder eine Kirche betreten, auch wenn ich allein ganz hinten stehen bleibe.“ Er hielt inne und wartete, während er Kleeblüten abriss und zerpflückte.
Die Höflichkeit gebot, dass Josephine antwortete, aber sie war es leid, höflich zu sein. Sie wollte ihn so sehr schockieren, dass er ging. „Ich glaube nicht mehr an Gott.“
„Warum nicht?“ Er klang nicht schockiert, sondern neugierig.
„Sind Sie wirklich so dumm? Sehen Sie sich doch nur hier um! Das sind die Gräber meines Vaters und meines Bruders. Wir haben den Krieg verloren! Sie haben ja keine Ahnung, wie ich gebetet habe – wie sehr alle in dieser Kirche gebetet haben – für Schutz für ihre Lieben, für den Sieg über einen Feind, der in unser Land eingedrungen war. Aber sieht das für Sie so aus, als hätte Gott uns geantwortet? Oder uns auch nur zugehört? Entweder gibt es keinen Gott oder er schert sich nicht um uns und unsere Bedürfnisse. In die Kirche zu gehen, da drin zu sitzen, die Rituale mitzumachen – was mich betrifft, ist das alles nur eine Lüge.“
„Haben Sie schon mal das Buch Hiob in der Bibel gelesen?“
„Bitte lassen Sie mich in Ruhe.“
„Tut mir leid, aber das kann ich genauso wenig, wie Sie Harrison Blake in Ruhe lassen konnten, als er sich umbringen wollte.“
„Ich versichere Ihnen, dass ich nicht die Absicht habe, mich umzubringen.“
„Vielleicht nicht auf die gleiche
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