Am Anfang eines neuen Tages
Art, wie er es versucht hat. Aber die Verzweiflung führt zu demselben Ergebnis, Josephine, wenn Sie ihr freien Lauf lassen. Sie laufen dann vielleicht immer noch herum wie wir anderen und essen und reden, aber innerlich werden Sie tot sein.“
„Sie wissen überhaupt nichts über mich.“ Aber er war gefährlich nahe daran zu beschreiben, wie sie sich schon jetzt fühlte. Woher wusste er das? Und wer gab ihm das Recht, mit ihr darüber zu sprechen?
„Ich weiß vielleicht nicht viel über Sie, das stimmt. Aber ich weiß, dass wir alle geschaffen wurden, um Gott zu lieben und ihm zu dienen. Er liebt uns mit großer Leidenschaft. Und wann immer eines seiner Kinder beschließt, ihm den Rücken zu kehren, kann das nur in die Verzweiflung führen. Und zu einem geistlichen Tod.“
„Soll ich etwa dort sitzen und so tun als ob, auch wenn ich das alles nicht mehr glaube? Wäre ich dann nicht eine Heuchlerin?“
„Überhaupt nicht. Dann wären Sie sein Kind. Wenn Sie das Gefühl gehabt hätten, dass Ihr Vater sich über Sie ärgert, wenn er nicht mehr mit Ihnen geredet hätte, Ihnen nichts mehr geschenkt hätte, hätten Sie dann nicht wenigstens wissen wollen, warum? Mehr will ich gar nicht sagen. Setzen Sie sich mit Gott hin und fragen Sie ihn nach den Gründen für Ihr Leid, danach, warum er Ihre Gebete nicht erhört hat.“
„Meinen Sie etwa, dann werde ich eine Stimme vom Himmel hören?“ Sie konnte den verächtlichen Tonfall nicht zurückhalten.
„Nein, wahrscheinlich sollten Sie nicht auf eine Stimme aus dem Himmel warten.“ Er lächelte, als hätte sie einen Scherz gemacht, anstatt sarkastisch zu sein. „Aber –“
„Wenn Gott nie eines meiner früheren Gebete erhört hat, warum sollte er mir dann diesmal antworten?“
„Weil Sie jetzt die richtigen Fragen stellen würden. Und auch wenn ich nie eine tatsächliche Stimme gehört habe, redet Gott durch die Worte der Bibel zu mir – weshalb ich Ihnen vorschlage, dass Sie die Geschichte von Hiob lesen. Und manchmal entscheidet Gott sich auch, durch Ihre Freunde zu sprechen … und ich bitte Sie darum, dass Sie mich als Ihren Freund betrachten. Wenn wir uns von Gott und anderen Menschen abschneiden, führt das immer zur Verzweiflung. Ist es nicht das, was mit Harrison Blake geschehen ist?“
„Harrison hat sogar noch mehr Grund, wütend zu sein, als ich es habe. Er hat sein Bein verloren. Er wird nie wieder laufen können.“
„Und trotzdem versuchen Sie, ihn davon zu überzeugen, dass er am Leben bleiben soll, nicht wahr? Mehr sage ich ja gar nicht, Josephine. Geben Sie Gott noch eine Chance. Er war so großzügig, mir noch eine zweite Chance zu geben.“
Die Fenster der Kirche waren geöffnet und Josephine hörte, dass die Orgel zu spielen begann. Dann ertönte Gemeindegesang. Der Gottesdienst neigte sich dem Ende zu. „Sie müssen gehen, Alexander. Man sollte uns hier nicht ohne Anstandsdame zusammen sehen.“
„Ich verstehe … ich bin der Feind, nicht wahr?“
„Ja. Ich staune, dass Sie die Nerven haben, in der Kirche zu erscheinen.“
„Es fällt mir nicht leicht, das kann ich Ihnen versichern. Dies ist erst das zweite Mal, dass ich hier bin. Aber ich vertraue darauf, dass sich wenigstens ein paar der Leute wie Christen verhalten werden.“
„Sie könnten enttäuscht werden.“
Mr Chandler seufzte und erhob sich. „Es war schön, mit Ihnen zu reden, Josephine. Ich hoffe, wir haben wieder einmal die Gelegenheit, uns zu unterhalten.“
Sie blickte ihm nach, als er davonschlenderte, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Unwillkürlich dachte sie, dass es für ihn einfacher war zu glauben, dass er alle Antworten kannte, weil er den Krieg gewonnen hatte.
Trotzdem beschloss Jo, seine Ratschläge zu befolgen. Nach dem Mittagessen lieh sie sich Mrs Blakes Bibel aus und trug sie in ihr Schlafzimmer hinauf, um darin zu lesen, während alle anderen ihren Mittagsschlaf machten. Sie schlug das Buch Hiob auf. Es war eine herzzerreißende Geschichte und nach dem Lesen dachte sie noch lange darüber nach. Sie ärgerte sich über Mr Chandler und wartete gespannt darauf, dass er wieder auf der Plantage erschien. Aber am Montag kam er nicht. Und auch nicht am Dienstag.
Am Mittwochmorgen trug Josephine ihren Nähkasten auf die Veranda vor dem Haus, wo das Sonnenlicht hell war, und versuchte sich daran, eine Naht zu nähen. Wie sie vermutet hatte, war Harrisons Blut nicht aus ihrem Kleid herausgegangen, aber sie hatte etwas von der Spitze
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