Am Anfang eines neuen Tages
gerettet und genug Stoff, um einen Rock daraus zu nähen. Das konnte schließlich nicht schwieriger sein als Stickerei, oder? Sie musste nur geradeaus nähen.
Jo machte gute Fortschritte bei ihrer Arbeit, als sie aufblickte und Mr Chandler auf seinem Pferd den Weg heraufreiten sah. Seine Yankeeuniform hob sich deutlich von den grünen Bäumen ab. Sie legte ihre Näharbeit beiseite, während er sein Pferd an dem Pfosten vor dem Haus festband, und eilte die Treppe hinunter, um mit ihm zu reden. Sie wollte nicht, dass Mrs Blake sie hörte. Als sie sah, wie Mr Chandlers Lippen sich zu einem Lächeln verzogen, während er seinen Hut abnahm, sagte sie schnell: „Ich muss mit Ihnen sprechen.“
„Ach du liebes bisschen. Und Sie scheinen nicht gerade glücklich darüber zu sein.“ Sein Lächeln verblasste. „Sind es die Arbeiter? Halten sie sich nicht an die Vereinbarungen? Ich wäre eher gekommen, um nach ihnen zu sehen, aber ich musste nach Richmond und –“
„Es hat nichts mit den Arbeitern zu tun. Ich bin wütend über die Geschichte in der Bibel, von der Sie gesagt haben, ich solle sie lesen.“
„Sie meinen Hiob? Was ist damit?“ Er sah aus, als wollte er lächeln, traute sich aber nicht so recht. Stattdessen tätschelte er den Hals seines Pferdes.
„In der Bibel steht, dass Hiob ein guter Mann war, ein gerechter Mann. Gott liebte ihn und er liebte Gott. Wie konnte Gott dann tatenlos zusehen und zulassen, wie Satan ihm alles genommen hat? Seinen Wohlstand, seine Kinder, seine Gesundheit. Das ist furchtbar, Mr Chandler!“
„Bitte sagen Sie Alexander –“
„Warum sollte ich einem Gott vertrauen, der so grausam ist? Lässt er wirklich zu, dass wir Spielfiguren in einem dämlichen Wettstreit sind?“ Josephine verspürte so viel aufgestauten Zorn, dass sie kaum sprechen konnte. „Das ist eine schreckliche Geschichte!“
Er sah sich um, als könnte er die Antwort auf ihren Wutausbruch irgendwo im Garten finden, dann bedeutete er ihr mit einem Zeichen, ihm zu folgen. „Lassen Sie uns zum Stall gehen, so als würden wir über die Arbeiter oder etwas anderes reden. Sie wollen doch nicht, dass jemand den Eindruck bekommt, Sie würden mit einem Yankee reden, als wäre er ein Freund, nicht wahr?“
„Ich … ich bin mir keineswegs sicher, dass wir Freunde sind. Ich fand die Geschichte, die Sie vorgeschlagen haben, sehr erschütternd.“ Aber sie ging trotzdem auf ihn zu und gemeinsam setzten sie sich langsam in Richtung Baumwollfeld in Bewegung.
„Haben Sie das ganze Buch gelesen, Josephine?“
„Nein. Manches habe ich überhaupt nicht verstanden – Männer, die unaufhörlich miteinander streiten. Hiobs Freunde sollten ihn doch trösten, doch stattdessen verurteilen sie ihn. Wer braucht schon solche Freunde?“
„Aber ich kann mir vorstellen, dass Sie sich mit seinem Leiden identifizieren können, oder? Dass er alles verloren hat?“
„Ja. Aber das kann Harrison auch – und er will sterben. Warum sollten wir beide nicht wütend sein auf einen Gott, der Menschen so behandelt?“
„Genau! Deshalb habe ich Ihnen ja auch den Rat gegeben, weiter in die Kirche zu gehen und mit Gott zu reden. Menschen gehen fort und hören auf zu glauben, weil man ihnen beigebracht hat, es sei falsch, auf Gott zornig zu sein. Es ist nicht falsch! Hiob hält ihm sein Leid direkt vor. Er brüllt und beschwert sich und protestiert. Er sagt zu Gott, dass sein Schicksal ungerecht ist, so wie es ungerecht ist, dass Sie leiden mussten, obwohl Sie nichts mit der Entscheidung zu tun hatten, diesen Krieg zu beginnen. Was Hiob uns zeigt, ist, dass es in Ordnung ist, sich mit Gott zu streiten. Gott versteht unseren Schmerz. Er kann mit unserer Wut umgehen.“
„Sie erwarten, dass ich mich mit Gott streite?“
„Ja!“, sagte er lachend. „So wie Sie sich mit mir streiten.“
Josephine hatte keine Ahnung, warum er das so lustig fand. „Ich habe gelernt, gegenüber Autoritätspersonen keine Verärgerung zu zeigen, Mr Chandler –“
„Alexander.“
„– und ich soll ihnen auch nicht widersprechen. Vor allem nicht meinem Vater oder Gott. Wenn Sie mir also sagen, ich solle auf ihn wütend sein oder mich mit ihm streiten, dann ist das … absurd!“
„Sie sind doch sowieso schon wütend auf Gott und das weiß er. Also können Sie genauso gut mit ihm darüber sprechen.“
Als sie den Zaun erreicht hatten, blieb Jo stehen, aber sie weigerte sich, ihn anzusehen. „Es tut mir leid, aber Gott anzubrüllen fällt mir
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