Am Anfang eines neuen Tages
das Lizzie am Bach verspürt hatte, war verschwunden. „Glaubst du, Saul und die anderen werden auf uns hören?“, fragte Lizzie.
Otis schüttelte den Kopf. „Saul war schon immer ein Sturkopf.“
Die Schatten waren lang und lila, als sie zu Hause ankamen. Die Jungen spielten vor der Hütte ein Spiel mit Stöcken und Steinen, aber sie ließen alles stehen und liegen und rannten ihnen entgegen, als sie näher kamen. „Wo ist Roselle?“, fragte Lizzie und blickte sich um.
„Sie ist zum Hühnerstall raufgegangen, um nach ihren Enten zu sehen.“
Lizzies Magen drehte sich um wie ein Lappen, der ausgewrungen wird. „Wann ist sie losgegangen?“
Rufus zuckte mit den Schultern. „Ist noch nicht lange her.“
„Ihr Jungs bleibt hier!“
Otis blieb an Lizzies Seite, während sie den Hügel hinaufeilte. „Jeden Tag geht sie nach der Schule zu diesem Hühnerstall“, keuchte Lizzie. „Ihre Entenküken werden immer größer und es geht ihnen gut bei ihren Hühnermamas. Aber wenn sie Roselle sehen, dann laufen sie zu ihr, als wüssten sie, dass sie es ist, die sie gerettet hat.“ Die Angst ließ sie plappern. Sie hätte Roselle warnen sollen, sich nicht zu weit von der Hütte zu entfernen, aber sie wollte nicht, dass ihre Kinder ständig Angst hatten, so wie sie. Jetzt wünschte sie, sie hätte Roselle gewarnt.
Als sie die Anhöhe erreichten, blieb Lizzie das Herz stehen. Roselle stand auf dem Weg zwischen Haus und Küche und sprach mit Massa Daniel. Roselle lächelte und sah hübsch und schüchtern aus, aber der Blick, mit dem der Massa sie ansah, ließ das Blut in Lizzies Adern so eisig werden wie das Wasser des Baches.
„Otis! Otis, hol sie von ihm weg!“ Sie schlug sich die Hand vor den Mund, um nicht zu schreien.
„Schhh. Sag nichts, Lizzie. Du bleibst hier.“
Lizzie konnte nicht atmen. Sie wollte, dass Otis den Rest des Weges rannte, aber er ging so ruhig auf Roselle zu, als wäre er völlig ohne Sorge. Massa Daniel drehte sich um und sah ihn kommen. Seine Miene wurde so hart wie Eis im Januar. Roselle hob ebenfalls den Blick. Als sie Otis sah, verschwand ihr Lächeln.
Otis nahm respektvoll den Hut ab und sah auf seine Füße hinunter, anstatt den Massa anzusehen, so wie er es gelernt hatte. Lizzie konnte nicht hören, was sie sprachen, aber nach einer Minute gingen er und Massa Daniel zum Stall. Lizzie winkte Roselle und wartete auf sie, um mit ihr zur Sklavensiedlung zurückzugehen.
„Was wollte Massa Daniel denn?“, fragte Lizzie. Ihr Herz hämmerte immer noch viel zu schnell.
„Nichts. Wir haben uns nur unterhalten. Er wollte alles über meine Enten wissen.“
Lizzie konnte die Konturen von Roselles sich entwickelndem Körper unter ihrem dünnen Baumwollkleid sehen – und der Massa hatte sie auch gesehen. „Halt dich von ihm fern, Roselle. Und wenn du in seine Nähe gehen musst, sei vorsichtig. Hast du verstanden?“
„Er ist unser Massa. Wir müssen doch tun, was er sagt, oder?“
„Hör mir gut zu. Er ist nicht mehr unser Massa. Dein Papa arbeitet für ihn, Roselle. Aber wir arbeiten für Miz Eugenia.“
„Otis ist nicht mein Papa.“
Lizzie packte Roselle am Arm und zog sie mit sich fort. „Jetzt fang nicht wieder damit an, hörst du? Otis liebt dich, als wärest du sein eigenes Kind. Es gibt nichts, was er nicht für dich tun würde.“
„Wann erzählst du mir endlich von meinem richtigen Vater? Du hast es mir versprochen, erinnerst du dich?“ Roselle war so hübsch, selbst wenn sie schmollte, dass es Lizzie zu Tode ängstigte.
„Ich erzähle dir von ihm, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Aber das ist er noch nicht. Und in der Zwischenzeit sage ich dir, dass du einen möglichst großen Bogen um diesen Mann machen sollst.“
Kapitel 17
28. Mai 1865
Josephine stand vor Mrs Blakes Spiegel im Flur und rückte ihren Hut zurecht. Nachdem sie ihn in den letzten fünf Jahren jeden Sonntag getragen hatte, sah er so verblichen und unförmig aus, dass sie ihn am liebsten in die Mülltonne geworfen hätte. Der Stil mochte zu einem siebzehnjährigen Mädchen passen, aber für eine junge Frau von zweiundzwanzig Jahren wirkte er zu kindlich. Jo hätte lieber gar keinen Hut getragen, aber ihr fehlte der Mut, gegen die Konvention zu verstoßen, und die Geduld, sich die Vorwürfe ihrer Mutter anzuhören, wenn sie ohne Hut in der Kirche erschien.
„Ist es nicht wunderbar, wieder einen Kutscher zu haben?“, sagte Mrs Blake. „Und sonntags in die Kirche zu gehen?“
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