Am Anfang ist die Ewigkeit
Abenddämmerung hatte bereits eingesetzt. Der Himmel über St. Petersburg färbte sich saphirblau, durchzogen von orangefarbenen Streifen, und der Schnee wurde in ein violettes Licht getaucht. Jax stellte sich dicht vor die Tür und blickte wieder auf das iPhone.
Noch drei Minuten.
Er starrte die Tür an und wünschte, dass sie sich öffnete.
»Haben Sie vielleicht etwas zu essen für mich?« sagte da eine männliche Stimme in seinem Rücken.
Jax drehte sich um. »Nein.«
»Ein bisschen Kleingeld?«
Jax gab dem Fremden einen Zwanziger.
»Danke!« Der Mann steckte den Geldschein ein, blieb aber stehen. »Warten Sie auf jemanden?«
»Ja.«
»Warum gehen Sie denn nicht hinein? In der Kirche ist jeder willkommen.«
Nicht jeder, aber das sprach Jax nicht aus. »Ich warte lieber hier.«
»Manche Menschen glauben, dass Gott an jedem heiligen Ort lebt und das Böse dort keine Macht über sie hat.«
Ein Penner mit religiösen Wahnvorstellungen. Das war ungefähr das Letzte, was Jax jetzt gebrauchen konnte. Er versuchte, ihn einfach zu ignorieren, und sah weiter regungslos auf die Tür. Diese Warterei war kaum zu ertragen. Was sollte er machen, wenn sie nach fünf Minuten nicht herauskam? Er würde sie nicht beschützen können, weil er nicht zu ihr konnte.
»Andere behaupten, das Böse existiere überall und könne nur durch die Liebe überwunden werden, ganz egal, welchen Glauben man hat.«
Jax drehte sich um und musterte den alten Mann. Er hatte einen weiÃen Bart und wässrige Augen. »Okay«, erwiderte er knapp und warf noch einen Blick auf das iPhone. Eine Minute.
»Ich habe gesehen, wie der Teufel in die Kirche gegangen ist. Meinen Sie, dass er BuÃe tun will?«
Jax riss den Kopf herum. »Was haben Sie gerade gesagt?«
»Erst vor wenigen Augenblicken habe ich gesehen, wie der Teufel die Kirche durch den Haupteingang betreten hat. Ganz in Schwarz, mit seelenlosen Augen. Ob er tatsächlich seinen Hochmut überwunden hat und BuÃe tun will?«
Das war unmöglich! Eryx konnte eine Kirche genauso wenig betreten wie alle anderen Mephisto-Brüder.
»Andererseits war es vielleicht gar nicht der Teufel. Vielleicht war es nur ein Mann mit einem bösen Herzen.«
»Wer sind Sie?«
Der Alte trat einen Schritt näher. »Ich bin hier, um dir ein Geschenk zu machen.«
»Warum nehmen Sie nicht einfach den Zwanziger und besorgen sich etwas zu essen? Bei Annaâs können Sie auch mit Dollar bezahlen.«
»Das mache ich. Aber willst du mein Geschenk denn gar nicht haben?«
Jax wollte nichts weiter, als dass Sasha endlich aus dieser Tür kam. Die fünf Minuten waren um. Er drehte sich zur Tür und flehte zu Gott, dass er sie sicher herausführte. Wenn Gott ihn doch nur hören könnte.
»Ich liebe dich.« Das war Sasha, die diese Worte in seinem Rücken geflüstert hatte. Jax wirbelte herum, doch da stand nur der alte Mann.
Allerdings waren seine Augen nicht mehr wässrig, sondern strahlten tiefblau. Ein vollkommen fremdartiges Gefühl, das er nicht benennen konnte, ergriff von Jax Besitz.
»Geh mit Gott«, sagte der Alte, drehte sich um und verschwand. Er löste sich einfach in Luft auf.
Jax blinzelte. Hatte er etwa in die Augen Gottes geblickt? » Ich bin hier, um dir ein Geschenk zu machen .« War damit Sasha gemeint? »Willst du mein Geschenk denn gar nicht haben?« Der Mephisto-Bund! Gottes Zusage, eine Anabo zu schicken, um Erlösung zu finden.
»Ich habe gesehen, wie der Teufel in die Kirche gegangen ist. Ganz in Schwarz, mit seelenlosen Augen.« War das eine Warnung? Meinte er damit einen Skia?
Und dann hatte er mit Sashas Stimme gesprochen. »Ich liebe dich.«
Diese drei Worte aus dem Mund eines Mädchens mit goldenem Haar und Augen in den Farben der Abenddämmerung hatten Jaxâ Dasein grundlegend verändert. Sie durfte nicht sterben. Sie war die gröÃte Hoffnung der Menschheit â und für ihn war sie die einzige Hoffnung. Sollte ihr etwas zustoÃen und sie ihm gewaltsam entrissen werden, würde er das nicht überleben. Der Tod und die ewige Hölle waren leichter zu ertragen als ein Leben ohne Sasha.
Er hörte ihren Schrei und das Blut gefror in seinen Adern. Er schluckte, holte tief Luft, riss die Tür auf und stürmte in die Kirche.
Sasha hatte keinen Blick für die
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