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Am Anfang war das Ende (German Edition)

Am Anfang war das Ende (German Edition)

Titel: Am Anfang war das Ende (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Casta
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vor Augen zu führen. Dann bemerke ich einen schwachen Schein, der von der Dunkelheit reflektiert zu werden scheint. Es ist, als läge ein dünner Schleier aus blassem, gespenstischem Licht über der Stadt.
    Die Straße, der wir zu folgen versuchen, wird von den Ruinen früherer Einfamilienhäuser gesäumt. An den meisten fehlen die Dächer. Ab und zu hängen auch große Blechdächer an den Wänden herab, dann sieht es aus, als wäre jemand mit einem riesigen Dosenöffner unterwegs gewesen. Von den Gärten ist fast nichts übrig geblieben. Bäume, Gartenmöbel, Schaukeln, Hollywoodschaukeln, Gartengrille, Zäune, alles, was zu einem Garten gehört, wurde weggeschwemmt und liegt irgendwo auf den schlammverschmierten Schutthaufen. Aus einem davon schauen mehrere verbogene Fahrräder heraus. Die demolierten Autowracks am Straßenrand sind so plattgedrückt, dass sie an zertretene Käfer erinnern.
    Wir bewegen uns so vorsichtig wie möglich, immer auf der Hut. In regelmäßigen Abständen halten wir an, um zu horchen. Von dem Gesang ist nichts zu hören. Und die beiden Männer sind von den Ruinen verschluckt.
    »Das hier scheint eine schöne Wohngegend gewesen zu sein«, bemerkt Dinah.
    Ich nicke. Dinahs Worte lassen mich unwillkürlich an Omas Garten denken. Ich frage mich, ob ihr Garten auch verwüstet worden ist. Als ich es mir genauer überlege, wird mir bewusst, dass meine Gedanken an Oma noch durch etwas anderes hervorgerufen werden: Irgendetwas hier erinnert mich daran, wie es in ihrem Stadtteil ausgesehen hat. Die Häuserruinen sahen früher wahrscheinlich ganz ähnlich aus wie Omas Haus. Als ich mich jetzt umsehe, tue ich es mit neuen Augen und merke bald, dass noch mehr an Omas Gegend erinnert.
    »Hier sieht es fast so aus wie da, wo meine Oma gewohnt hat«, sage ich. »Vielleicht ist das hier unsere Stadt!«
    Es ist der Gedanke, den ich schon beim ersten Anblick der Trümmerwüste hatte. Dinah schüttelt den Kopf, sagt aber nichts.
    Verbogene Armiereisen ragen aus den Mauern. In manche Häuser können wir hineinschauen, als wären sie Puppenstuben. Dort stehen die Möbel noch genauso da, wie sie gestanden haben müssen, als die Katastrophe, die alles vernichtet hat, passierte. Ich sehe Wohnzimmer mit Fernseher und Sitzgruppe, Küchen mit Herd, Spülmaschine und Esstisch, ein Bad, dessen Toilette aus der Wand ins Freie ragt, Schlafzimmer mit ungemachten Betten, Mädchenzimmer mit rosa Tapeten und Jungenzimmer mit Fußballbildern an den Wänden. Nur die Menschen fehlen. Wo die jetzt wohl sind? Sind sie etwa alle tot? Oder konnten sie rechtzeitig fliehen?
    Wir klettern über Berge aus Beton und Backsteinen. An einer Straßenkreuzung sehen wir ein Straßenschild, das so verbogen ist, dass es fast einen Knoten geschlagen hat. Dinah geht hin und versucht es zu entziffern, obwohl es zusätzlich auch noch auf dem Kopf steht.
    »L-i-n-e-w-g?«, buchstabiert sie.
    Ich bücke mich und sehe mir das Schild an. »Vielleicht Linnéweg«, sage ich. »So hieß die Straße, in der meine Oma gewohnt hat!«
    Ich sehe mich um. Betrachte die Ruinen ringsum und versuche, mir ins Gedächtnis zu rufen, wie es in Omas Wohngegend ausgesehen hat. Als Opa starb, verkaufte Oma den kleinen Bauernhof an die Gemeinde, weil sie zu alt war, um ihn allein zu bewirtschaften. Auf den Äckern wurden bald darauf Reihenhäuser gebaut. Oma selbst kaufte sich das rote Holzhaus mit dem kleinen Garten, das wir jetzt suchten.
    »Ja, das könnte tatsächlich die Straße sein«, sage ich schließlich. »In dem Fall müsste ihr Haus dort hinten stehen.«
    Dinah wirft mir einen skeptischen Blick zu.
    »Ich weiß«, sage ich und zucke die Schultern. »Aber einen Versuch ist es doch wert?«
    Dinah nickt, worauf wir in das einbiegen, was früher einmal Omas Straße gewesen sein könnte. Ich weiß, dass ihr Haus am Ende der Straße lag, an einer Wendeplatte. Je näher wir kommen, desto stärker wird meine Überzeugung, dass es tatsächlich die Straße ist. Ich glaube die Häuser wiederzuerkennen, sie stimmen einigermaßen mit den Bildern überein, die ich im Kopf habe. Als wir das, was ich für das letzte Haus halte, erreichen, sage ich zu Dinah: »Hier ist es! Das hier war mal das Haus meiner Oma!«
    Dinah starrt die Reste des Hauses und des Gartens an. »Unglaublich!«, sagt sie.
    »Ich weiß«, sage ich. »Wir müssen ein sagenhaftes Glück gehabt haben!«
    Dinah schüttelt den Kopf. »So was gibt’s doch einfach nicht!«
    »Oder es ist mehr als Glück«,

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