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Am Anfang war das Ende (German Edition)

Am Anfang war das Ende (German Edition)

Titel: Am Anfang war das Ende (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Casta
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noch einmal. Inzwischen ist sie dicht neben uns. Wieder ruft ein Mann etwas, das ich nicht verstehe. Vorsichtig richte ich mich auf und spähe über die Mauer. Da sehe ich den Mann. Er steht auf den Überresten der ehemaligen Straße. Er trägt eine schwarze Lederjacke, deren Nieten im Schein einer Taschenlampe glänzen. Auf dem Rücken der Jacke sehe ich große Zeichen, die mir nichts sagen. Irgendwie erinnert er an ein Mitglied einer Rockerbande. Dann ruft er noch einmal, und jetzt wird mir klar, warum ich nichts verstehe: Er spricht eine fremde Sprache. Und plötzlich bemerke ich etwas, das von seiner Schulter herabhängt. Obwohl ich so etwas noch nie gesehen habe, begreife ich sofort, dass es eine Waffe sein muss.
    •
    17 . SZENE. FORTSETZUNG. AUSSENAUFNAHME. VOR DEM STALL.
    DAVID, (GABRIEL), DIE ANDEREN.
     
    Die Kamera wandert an der Reihe der kleinwüchsigen Menschen entlang. Das Bild wird unscharf, als Gabriel die Gesichter heranzoomt. Dann gelingt es ihm, das Bild scharf zu stellen. Die Kamera bewegt sich von einem Gesicht zum andern. Es sind lauter Kindergesichter, aber sie sind so zerfurcht und müde, dass sie wie die von alten Menschen aussehen. Alle haben fast identische Augen. Rund wie Glaskugeln und dunkel blauschwarz.
     
    GABRIEL (nicht im Bild, murmelt)
    Das sind ja nur Kinder …
     
    DAVID
    Do you understand what I say?
     
    Niemand in der Reihe scheint auf Davids Worte zu reagieren.
     
    GABRIEL (nicht im Bild)
    Das sind doch bloß kleine Kinder.
     
    DAVID
    I am David.
     
    David zeigt auf sich selbst.
     
    DAVID
    Da-vid.
     
    David dreht sich zur Kamera um und zeigt darauf.
     
    DAVID
    Gabriel. Ga-bri-el.
     
    Stille.
    Die Gesichter in der Reihe bleiben ausdruckslos. Doch dann bewegt sich ein Junge in der Mitte. Er scheint ein wenig älter zu sein als die anderen und hat schwarze, fast schulterlange, verfilzte Haare. Der Junge hält einen langen Holzstab in der Hand. Er tritt vor die anderen hin und sagt etwas.
     
    BENJAMIN
    Ben-ja-min.
     
    Erneute Stille. Dann streckt David den rechten Arm aus und macht einen Schritt auf Benjamin zu.
     
    DAVID
    Friends!
     
    Die Reaktion lässt nicht lange auf sich warten. Benjamin hebt drohend seinen Stab, dann brüllt er etwas, das wie ein Kriegsruf klingt, und rennt auf den Garten zu.
     
    BENJAMIN
    Aoooaoooaooo!
     
    Die ganze Schar rennt hinter ihm her. Die Kamera folgt ihnen durch den Garten. Die Gestalt am Ende der Schar trägt etwas unterm Arm. Dann verschwinden sie durch die Hecke.
    •
    Der Mann mit der Waffe scheint auf jemanden zu warten. Er wandert unruhig auf und ab. Was macht er hier?, denke ich. Ist er ein Wächter? Und wenn, was bewacht er dann? Plötzlich taucht noch ein Mann auf. Er trägt genau die gleichen schwarzen Kleider und sieht fast wie eine Kopie des ersten aus. Die Männer sprechen offensichtlich miteinander, aber ich kann keine Worte unterscheiden. Dann gehen sie zusammen weg und verschwinden hinter einem Gebäude.
    Wir sitzen an die eingefallene Mauer gelehnt.
    »Sollen wir versuchen weiterzulaufen?«, flüstert Dinah.
    Im selben Augenblick, als ich ihr zunicke, höre ich es. Zuerst verstehe ich überhaupt nicht, was es ist. Es dauert lange, bis mein Gehirn es zu identifizieren vermag. Vielleicht, weil es so unerwartet ist. Es klingt wie Gesang. Es klingt wie eine große Schar Menschen, die singt. Wie ein großer Chor. Doch der Gesang ist gedämpft, schwer, monoton. Wie etwas, das man singt, wenn man eine Arbeit verrichtet, die sehr eintönig und anstrengend ist.
    Ich werfe Dinah einen Blick zu. Sie sieht genauso verblüfft und erschrocken aus wie ich selbst vermutlich auch.
    »Es scheint von unten zu kommen«, flüstert sie. »Aus einem Keller oder so.«
    Wir sitzen schweigend an der Mauer, lauschen und versuchen zu verstehen, was das ist. Versuchen, Worte zu unterscheiden. Aber der Text ist unverständlich, erinnert mehr an eine wortlose Litanei.
    »Sollen wir versuchen, näher ranzukommen?«
    Ich richte den Oberkörper vorsichtig auf und werfe einen Blick auf die Stelle, wo die beiden Männer gestanden haben. Sie ist leer. Auch als ich mich umschaue, bleiben sie spurlos verschwunden. Ich sehe nur eingestürzte Häuser, Berge aus alten Ziegelsteinen und zerschmetterten Betonblöcken, große schmutzige Plastikbahnen, verbogene Blechteile, die einst Autos gewesen sind, geknickte Holzbalken, deren Enden wie gebrochene Knochen abstehen, Berge aus umgepflügtem Asphalt. Und aus diesem Chaos strömt immer noch der dumpfe, ernste

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