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Am Anfang war das Wort

Am Anfang war das Wort

Titel: Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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seine Stimme war besonders ruhig, nach Aussagen seiner Mitarbeiter ein Zeichen, daß er wütend war, »vielleicht glauben Sie, daß wir im Kino sind, aber hier wird in einem Mordfall ermittelt. Dies ist kein französischer Film, vielleicht können Sie von der Bühne steigen? Sie wollen einen Rechtsanwalt? Einen Psychiater? Kein Problem.«
    »Psychiater?« fragte Ja'el und stellte ihre Beine nebeneinander. »Was hat denn ein Psychiater damit zu tun?« Noch immer war ihre Stimme sanft. Michael wollte eine schnelle, scharfe Antwort geben, da sah er ihr Gesicht und verstand, daß er unabsichtlich einen wunden Punkt berührt hatte.
    »Wir leben nicht im Mittelalter«, sagte er schließlich, »und Sie werden nicht gleich des Mordes verdächtigt, sogar wenn Sie in nervenärztlicher Behandlung sind. Von mir aus können Sie gleich jetzt Ihren Rechtsanwalt anrufen, wenn Sie einen haben, aber ich halte das schlichtweg für übertrieben. Jedenfalls in diesem Stadium.«
    »Es ist keine Frage von nervenärztlicher Behandlung«, sagte sie und fing an zu weinen.
    Michael Ochajon atmete erleichtert auf. Weinen war etwas, was er kannte, es war wenigstens menschlich.
    Unter Schluchzen sagte sie: »Dieser junge Mann vorhin war so grob zu mir, er hat sofort gefragt, warum ich ohnmächtig geworden bin, als wäre das nicht klar, und ob ich eine Affäre mit Professor Tirosch gehabt hätte.«
    »Und, hatten Sie?« fragte Michael auf gut Glück.
    »Nicht wirklich«, antwortete sie.
    »Was soll das heißen, ›nicht wirklich‹?« fragte Michael und schaute ihr in die Augen.
    »Als junges Mädchen habe ich seine Gedichte sehr geliebt. Ich habe ihm einen Brief geschrieben und mich auch mit ihm getroffen. Als ich beim Militär war, bin ich sogar einmal desertiert und zu ihm gefahren. Damals war ich ein paar Tage bei ihm zu Hause.«
    »Bis man Sie aus dem Militär entlassen hat?« fragte Michael, doch das, was aussah wie begnadete Intuition, war in Wirklichkeit nichts anderes als das Ergebnis einer Geschichte, die er einmal von einem Studienfreund gehört hatte, der in ein junges Mädchen verliebt gewesen war. Sie war damals vom Militär weggelaufen, zu Scha'ul Tirosch. Jetzt verbanden sich die beiden Geschichten, wie sich im Lauf der Ereignisse immer wieder Geschichten verbinden, und er fühlte, wie ihn das gleiche Erschrecken packte, das er in Tiroschs Zimmer gefühlt hatte.
    Aber die junge Frau – jetzt erinnerte er sich auch wieder, wie der Freund ihre Schönheit beschrieben hatte – wußte nicht, woher seine Informationen stammten, und zwei dunkelrote Flecken erschienen auf ihren Wangen, als sie fragte: »Woher wissen Sie das? Aber bei euch steht ja alles in den Akten, was brauche ich da zu fragen.« Und wieder brach sie in Weinen aus.
    »Ich hätte nicht gedacht«, sagte Michael Ochajon, »daß es einer Frau wie Ihnen etwas ausmacht, wenn andere davon erfahren. Ich hätte nicht angenommen, daß Ihnen das Militär oder die Meinung von anderen wichtig ist.«
    »Ist es auch nicht. Aber ich habe eine ganz besondere Beziehung zu meinem Privatleben, ich will nicht«, hier wurde ihre zarte, klangvolle Stimme zum ersten Mal lauter, »daß jeder Polizist an diesem häßlichen Ort etwas über mich weiß.«
    Michael erinnerte sich nun an die ganze Geschichte und fragte: »Sie sind später noch einmal in eine Klinik eingeliefert worden, stimmt's?«
    Ihre blauen Augen starrten ihn erschreckt an, die roten Flecken verschwanden von ihren Wangen, und schließlich sagte sie: »Nein, nur damals.« Da soll man sich auf den Computer verlassen, auf die Informationen vom Nachrichtendienst, dachte Michael. Sie sagen immer, es liege nichts Besonderes vor – der Computer lügt nie!
    »Wie lange waren Sie damals in der Klinik?«
    »Zwei Wochen. Nur zur Untersuchung. Aber das war der einzige Weg, vom Militär freizukommen, und es war klar, daß ich nicht dort bleiben würde. Ich konnte die ganze Häßlichkeit nicht ertragen.«
    Sie erschauerte, zog aus der kleinen, grauen Ledertasche, die ihr über die Schulter hing, ein goldenes Feuerzeug heraus und zündete sich eine Zigarette an.
    Wieder registrierte Michael ihre außergewöhnliche Schönheit, die überhaupt nicht zu diesem Ort paßte. Eine überirdische Schönheit, dachte er. Ihm fiel Tiroschs Haus ein, das auf eine unerklärliche Art mit dieser Schönheit in Verbindung stand, mit diesen zarten Fesseln, mit diesen Augen und mit dieser Stimme. Er betrachtete ihre vollen, runden Brüste und den schmalen Körper

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