Am Anfang war das Wort
Schluß.
»Nein, ich komme allein hin«, sagte Michael. Er spürte genau, daß die Verzweiflung Tuwja Schajs auf ihn übergegriffen hatte, ebenso dessen Gleichgültigkeit und abgrundtiefe Müdigkeit. Die Worte kamen ihm überflüssig vor, als er Zila am Telefon bat, Ruchama Schaj zu bringen, und er fragte sich, woher er die seelische Kraft nehmen würde, sie zu verhören.
Zehntes Kapitel
»Das ist, glaube ich, alles, was ich zur Zeit weiß«, sagte Michael, als er fertig war. Imanuel Schorr betrachtete den Aschenbecher, der voller Kippen und Streichhölzer war, und zerbrach ein weiteres Streichholz.
Sie saßen im überfüllten Gartencafé des Tichohauses. Drinnen, im unteren Stockwerk, gab es einige freie Tische, doch trotz der Enge saßen alle hier auf der Terrasse, vor dem großen Park, und atmeten nach einem heißen, trockenen Tag die kühlere Abendluft ein. Über ihnen war der Himmel dunkel und sternlos, und von seinem Platz aus konnte Michael die hohen Zypressen und Kiefern im Park sehen, dunkel und drohend. Vom Nachbartisch klang das alberne Gelächter zweier Frauen zu ihnen herüber, nicht mehr jung, die miteinander flüsterten. Ein Gelächter, das Michael nur noch nervöser machte. Es war die Nervosität eines übermüdeten Kindes, das sich seine Müdigkeit nicht eingestehen will und auf alles mit Wut reagiert.
Imanuel Schorr trank den letzten Schluck Bier aus, wischte sich über die Lippen und fragte: »Wann genau hat er Ruchama Schaj den Laufpaß gegeben?«
»Am Donnerstag morgen. Tatsächlich haben wir Fingerabdrücke von ihr in seinem Zimmer gefunden, auch auf dem Tisch. Er hatte noch nicht einmal soviel Takt, sich dafür woanders mit ihr zu verabreden.«
»Vielleicht hatte er Angst vor einer Szene«, meinte Schorr, und Michael murmelte, wenn er diese Frau gesehen hätte, wüßte er, daß man sich bei ihr nicht vorstellen könne, daß sie jemandem eine Szene macht. »Hast du in der Angelegenheit mit den Preßluftflaschen«, fuhr Imanuel Schorr fort, »eigentlich schon untersucht, wo man reines Kohlenmonoxyd bekommen kann?«
»Ja. In jedem chemischen oder physikalischen Labor an der Universität. Und man kann sie auch in einer Chemikalienhandlung bestellen und sie sich nach Hause liefern lassen.«
»Gab es da vielleicht irgendeinen Einbruch in der letzten Zeit?« fragte Schorr, und während die junge Kellnerin den Kaffee vom Tablett nahm und auf den Tisch stellte, dachte Michael an das kleine Café neben dem Migrasch ha-Russim, wo er und Schorr Dutzende von Malen gesessen und Kaffee getrunken hatten. Imanuel Schorr hatte sich an seinem Schnurrbart gezupft – er hatte ihn vor zwei Jahren abrasiert – und beiläufige Bemerkungen gemacht, und erst später hatte Michael ihre Bedeutung verstanden.
Er rührte den Zucker in seinem Kaffee um und antwortete, er wisse nichts von einem Einbruch in ein Labor. »Allerdings«, sagte er und beugte sich vor, »kann man nicht gerade behaupten, daß es dort ausreichende Sicherheitsvorkehrungen gäbe. Ich habe mit einem Chemiker gesprochen, mit einem, der für das Labor verantwortlich ist. So viele Leute haben einen Schlüssel, so viele gehen dort ein und aus – ich glaube nicht, daß ein Einbruch nötig wäre.«
Er sprach zerstreut, ein Teil von ihm war noch immer bei Ruchama Schaj. Bei dem Gespräch mit ihr hatte er sich ungeheuer anstrengen müssen, er hatte seine letzten Kräfte zusammengerafft. Sie war nicht verängstigt gewesen, eher wie unter Schock, und hatte sich nicht auf seine Fragen konzentrieren können. Es gab keinen Weg, zu ihr durchzudringen, jedenfalls nicht während der ersten Stunde. Erst als er zum vierten Mal erwähnte, in was für einer heiklen Situation sich ihr Mann befinde, fing sie an, die Antworten auf seine Fragen auszuspucken, eine nach der anderen, auf eine mechanische und lakonische Weise, die ihn an Tuwjas Art zu sprechen erinnerte. Er erfuhr, daß die Beziehung zwischen ihr und Tirosch beendet war. »Von wem ging die Initiative aus?« fragte er, und sie senkte die Augen und sagte: »Von ihm.« Und als er fragte, warum, erwähnte auch sie Ruth Duda'i.
Dann beschrieb sie, wie sie von Donnerstag morgen bis Sonntag nachmittag fast ununterbrochen geschlafen hatte. Sie wisse nicht, sagte sie, ob Tuwja zu Hause gewesen sei. Michael hatte das Gefühl, daß sie, als sie von der Ermordung Scha'ul Tiroschs erfahren hatte, trotz des Schocks nicht so überrascht war, wie es zu erwarten gewesen wäre. Als er sie
Weitere Kostenlose Bücher