Am Anfang war der Seitensprung
Rücken drehte, war nur ihrer Lieblingsschokoladentorte zuzuschreiben, von der sie normalerweise zwei bis drei Stücke verputzte.
Heute aß sie nur ein schmales Scheibchen, dann schob sie den Teller weg.
»Mehr geht nicht, ich bin zu fett. Marco haßt dicke Schenkel.«
Mir war schon aufgefallen, daß sie weniger aß. Wenn sie aus lauter Aufregung und Verliebtheit keinen Hunger gehabt hätte, wäre das in Ordnung gewesen. Aber wenn sie hungerte, um dem Schönheitsideal irgendeines Kerls zu entsprechen, hatte der mich ab sofort zum Feind.
»Du bist überhaupt nicht fett, du hast eine wunderbar schmale Taille …«
»… und dicke Beine«, fiel sie mir ins Wort.
So ein Quatsch! Ich war jetzt schon wütend auf Marco.
Wenn er meine Tochter gern hätte, würde er ihr sagen, wie hübsch er sie findet, nicht, was ihm alles nicht an ihr paßt.
Mir entging nicht, daß Lucy sich im Laufe des Nachmittages ungefähr vierzehnmal umzog. Blaß und hohläugig, mit vor Aufregung glänzenden Augen, drehte sie sich vor dem Spiegel.
»Sag mal, Mama, würdest du mir die schwarze Lederjeans leihen? Ich meine, du wolltest doch erst ein paar Pfund abnehmen, bevor du sie anziehst, oder?«
Es gab mir einen Stich. Wenn ich Lucy die Jeans gab, sah ich das Teil nie wieder, außerdem übergab ich ihr damit gewissermaßen das Privileg, sich jung und modisch zu kleiden. Mir würde dann nur noch die Kittelschürze bleiben und die gepflegten Twinsets reiferer Damen.
»Bitte, Mama!«
Ich konnte ihrem flehenden Blick nicht widerstehen.
Blutenden Herzens überließ ich ihr die Hose.
Zu den Klängen irgendeiner Backstreet-Boy-Schnulze glitten Lucys Beine, die so viel länger, so viel schlanker waren als meine (und ohne eine Spur von Cellulites) in die schwarzen Lederröhren. Mit einem energischen Ruck zog Lucy den Gürtel in der Taille fest, raffte den viel zu weiten Bund einfach zusammen – und sah oberscharf aus.
Ich biß mir auf die Lippen.
»Weißt du, was ich heute im Radio gehört habe?«
Ich mußte ihr etwas antun, irgend etwas.
»Nein, was denn?«
»Einer von deinen Backstreet Boys ist ein Tierquäler. Er soll nach der Katze seines Nachbarn mit Flaschen geworfen haben.«
»Echt?« Lucy riß die Augen auf.
»Ja, stell dir vor. Nächste Woche steht er vor Gericht.
Wenn sie ihn verknacken, ist es aus mit der Band.«
Vor ein paar Wochen hätte diese Mitteilung einen Weinkrampf zur Folge gehabt. Jetzt grinste Lucy nur und meinte wegwerfend: »Das ist eh’ alles nur Masche. Die Musik finde ich auch ziemlich lasch. Marco will mir ’ne Kassette aufnehmen mit der Musik, auf die er steht. Oasis und solche Sachen, ist viel geiler.«
Gutgelaunt setzte sie ihr Verschönerungswerk fort.
Ich seufzte. Gegen die Macht der Liebe war kein Kraut gewachsen.
Ich war gespannt, wie lange es diesmal dauern würde.
Lucy war schon öfter verliebt gewesen, meist hielten diese Phasen zwischen zwei und vier Wochen an. Ihr Seelenzustand wechselte dann täglich mehrmals zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Es nahm mich richtig mit, weil ich mich noch gut erinnerte, wie fertig mich diese Wechselbäder damals gemacht hatten.
Mit gemischten Gefühlen sah ich nun also, wie meine Tochter durch die Höllentäler der ersten Lieben ging. Die Vorstellung, daß die Zurückweisung irgendeines pickeligen Jungen Lucy dazu bringen könnte, in einem verzweifelten Moment ihr Leben wegzuwerfen, marterte mich. Zu viele dieser Momente hatte ich selbst erlebt, um nicht zu wissen, daß man in diesem Alter ständig am Abgrund entlangbalanciert.
Wenn ich ihr doch nur vermitteln könnte, wie lächerlich und unbedeutend diese Kümmernisse würden, wenn man sie später aus der Distanz betrachtete. Daß man nicht daran zugrunde ginge, wenn eine Freundschaft zerbräche.
Daß der erste nicht der beste wäre. Daß jede Trennung ein Neuanfang wäre und alle Erfahrungen dazu beitragen könnten, irgendwann den Richtigen zu finden.
Wie früher, wenn sie krank war und wimmernd in meinen Armen lag, hätte ich gern alle ihre zukünftigen Schmerzen auf mich genommen, um sie nicht leiden sehen zu müssen.
»Hallo, Süße, geile Hose hast du an!«
Marco hatte offenbar viele Kinofilme gesehen, vor allem solche, in denen blöde Machos blöde Miezen zum Ausgehen abholen. Er lehnte lässig am Türpfosten, ließ seinen Autoschlüssel kreisen und musterte Lucy von oben bis unten. Er küßte sie auf den Mund und wollte sie zur Haustür rausziehen.
Ich hatte die Szene von
Weitere Kostenlose Bücher